Rz. 35
So bestimmen die Erblasser in gemeinsamen Testamenten oftmals, dass derjenige Schlusserbe, der beim ersten Erbfall seinen Pflichtteil fordert, auch beim zweiten Erbfall nur den Pflichtteil erhalten soll. Mit einer solchen Regelung wird zwar verhindert, dass der den Pflichtteil Verlangende seine Schlusserbenstellung nach dem Letztversterbenden behält. Auch bei dieser Klausel partizipiert der Pflichtteilsberechtigte wirtschaftlich gesehen möglicherweise zweimal am Nachlass des Erstversterbenden, soweit Vermögensgegenstände aus dessen Nachlass im Nachlass des Letztversterbenden noch vorhanden sind. Eine Anrechnung findet insoweit nicht statt, auch nicht, wenn eine solche angeordnet wäre, da das Pflichtteilsrecht eine solche Beschränkung nicht zulässt. Immerhin verhindert diese Klausel aber, dass der den Pflichtteil Verlangende auch in den Genuss der Schlusserbenstellung gelangt.
Rz. 36
Solchen Klauseln soll eine Abschreckungswirkung zukommen. Mehr ist aufgrund des zwingenden Charakters des Pflichtteilsrechts auch gar nicht möglich. Für diese Abkömmlinge soll es wirtschaftlich so unattraktiv wie möglich gemacht werden, den Pflichtteil nach dem Erstversterbenden zu verlangen. Gelingt dies, ist der Überlebende von den mit dem Pflichtteilsverlangen möglicherweise einhergehenden enormen Auszahlungs- und Liquiditätsschwierigkeiten befreit. Immerhin beträgt die Summe aller Pflichtteilsansprüche (der sog. Gesamtpflichtteilswert) auch bei der Zugewinngemeinschaft noch ¼ des gesamten Nachlasswertes. Inwieweit aber die Androhung, nach dem zweiten Erbfall dann ebenfalls nur den Pflichtteil zu erhalten, eine Abschreckungswirkung entfalten kann, wird vom Einzelfall abhängen. So wird ein Abkömmling aufgrund seiner persönlichen finanziellen Lage möglicherweise gezwungen sein, bereits beim ersten Erbfall seinen Pflichtteil zu verlangen. Möglicherweise wird er – berechtigterweise – befürchten, beim zweiten Erbfall werde nichts mehr vom Nachlass des Erstversterbenden bzw. überhaupt nichts mehr vorhanden sein. Der Längerlebende kann auch noch so jung sein, dass der Schlusserbfall aufgrund seiner zeitlichen Ferne keine wirtschaftlich verlockende Perspektive bieten kann. Alle diese Überlegungen bieten jedoch Ansatzpunkte für die gestaltende Beratung (dazu, dass eine solche Pflichtteilsklausel auch eine Schlusserbeneinsetzung darstellen kann, vgl. Rdn 24).
Rz. 37
Gegen die generelle Zulässigkeit einer solchen Klausel bestehen nach allg. Meinung keine Bedenken. Dies gilt auch in den Fällen, in denen einseitige Kinder des Vorversterbenden Gefahr laufen, beim Schlusserbfall nichts zu erhalten, wenn der überlebende Ehegatte den Nachlass des Erstversterbenden aufbraucht. Auch nach ZGB waren solche Klauseln wirksam. In Einzelfällen kann aber eine Nichtigkeit nach §§ 134, 138 BGB in Betracht kommen.
Rz. 38
Konstruktiv handelt es sich dabei um eine durch das Pflichtteilsverlangen auflösend bedingte (§ 2075 BGB) Schlusserbeneinsetzung, wobei der Eintritt der Bedingung auch noch nach dem Tod des Erstversterbenden eintreten kann. In solchen Fällen, also nach dem Tod des Letztversterbenden, aber vor dem Ablauf der Frist für die Geltendmachung des Pflichtteils nach dem Erstversterbenden, handelt es sich zusätzlich um eine durch das Pflichtteilsverlangen auflösend bedingte Vorerbschaft. Die Klausel kann den Ausschluss automatisch oder erst aufgrund einer entsprechenden letztwilligen Verfügung des Längerlebenden vorsehen. Man unterscheidet daher sog. automatische von sog. fakultativen Ausschlussklauseln. Bei der Anwendung automatischer Ausschlussklauseln ist Vorsicht geboten. Man sollte hier stets bedenken, dass solche Klauseln unflexibel, starr und erbschaftsteuerlich möglicherweise kontraproduktiv sein können.