Rz. 4

Bei der Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments ist danach zu unterscheiden, ob es sich um einseitige oder um wechselbezügliche letztwillige Verfügungen handelt.[12] Einseitige Verfügungen sind hier, genau wie sonst auch, nach den allg. Grundsätzen über die Auslegung einseitiger Testamente zu behandeln. Bei wechselbezüglichen Verfügungen kommt es zunächst auf den übereinstimmenden Willen beider Ehegatten an, dies zumindest, soweit es sich dabei um inhaltlich aufeinander abgestimmte Verfügungen beider Ehegatten handelt.[13] Nach h.M., die auch vom BGH[14] vertreten wird, kommt es aber bei der Auslegung wechselbezüglicher Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament stets auf den gemeinsamen Willen beider Ehegatten an. Zu ermitteln ist daher der übereinstimmende, subjektive Wille beider Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung, und zwar gleichgültig, ob es sich dabei um die Ermittlung des tatsächlichen oder des hypothetischen Willens i.R.d. ergänzenden Auslegung handelt.[15] Dabei ist auf den Verständnishorizont nicht eines objektiven Dritten, sondern des anderen Ehegatten bei der konkreten Abfassung des gemeinschaftlichen Testaments abzustellen.[16] Lässt sich ein übereinstimmender Wille der Ehegatten zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht feststellen, kommt es auf den Willen des jeweilig testierenden Ehegatten an, allerdings ist dieser nach § 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont des anderen Ehegatten festzustellen.[17] D.h. es ist zu prüfen, ob ein nach dem Verhalten des einen Ehegatten mögliches Auslegungsergebnis auch dem Willen des anderen Ehegatten entsprochen hat.[18] Denn dieser muss die Möglichkeit haben, sich bei seinen Verfügungen auf die Verfügungen des anderen einzustellen. Dies gilt auch für die Ermittlung des mutmaßlichen und des hypothetischen Erblasserwillens.[19] Erst dann, wenn die Auslegung keine Klarheit über den Erblasserwillen gebracht hat, findet die Auslegungsregel des Abs. 1 (zu deren Inhalt siehe Rdn 18 ff.) Anwendung.[20]

 

Rz. 5

 

Praxistipp

Gerade an vorgenanntem Bsp. bei der Verwendung von juristischen Ausdrücken durch Laien zeigt sich, welche Auslegungsprobleme bei gemeinschaftlichen Testamenten entstehen können, was größtenteils daraus resultiert, dass die Ehegatten ohne rechtliche Beratung testieren. Die Auslegung wird daher an dieser Stelle stets sehr sorgfältig erfolgen müssen. Vor einem vorschnellen Rückgriff auf die Auslegungsregel des Abs. 1 muss daher ausdrücklich gewarnt werden.

[12] Mayer, in: Reimann/Bengel/Mayer, Vor §§ 2265 ff. Rn 58.
[13] MüKo/Musielak, § 2269 Rn 15.
[14] NJW 1951, 959, 960; BGH DNotZ 1953, 100, 102; BGH FamRZ 1973, 189.
[15] BGHZ 112, 229, 233 = NJW 1991, 169; BayObLGZ 1981, 79, 82; BayObLG FamRZ 1996, 1037; BayObLG ZEV 1995, 71 = FamRZ 1995, 835.
[17] OLG Frankfurt v. 20.7.2015 – 21 W 85/14, Rn 17, zit. nach juris = FamRZ 2016, 748 m.w.N.
[18] BGHZ 112, 229, 233 = NJW 1991, 169; BayObLG FamRZ 1996, 1037; OLG Oldenburg FamRZ 1998, 1390.
[19] BGHZ 112, 229, 233 = NJW 1991, 169; BayObLG ZEV 1995, 71 = FamRZ 1995, 835.
[20] RGZ 59, 84; RGZ 113, 240; BGHZ 22, 366; BGH WM 1973, 41; BayObLG FamRZ 1988, 542; OLG Hamm OLGZ 1968, 486; Staudinger/Kanzleiter, § 2269 Rn 6.

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