1. Allgemeines
Rz. 45
In gemeinschaftlichen Testamenten ist häufig eine Regelung für den Fall der Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten getroffen. Sinn und Zweck einer solchen Klausel soll es sein, den Schlusserben (bei der Einheitslösung) oder den Nacherben (bei der Trennungslösung) den Nachlass des Erstversterbenden ungeschmälert von erbrechtlichen oder sonstigen Beeinträchtigungen des neuen Ehegatten und dessen etwaiger Abkömmlinge aus der neuen Ehe zu erhalten. Diesen Personen steht zumindest ein Pflichtteilsrecht an dem Nachlass des längerlebenden Ehegatten zu, in welchem bei der Einheitslösung zudem wirtschaftlich der Nachlass des Erstversterbenden enthalten ist. Bei der Trennungslösung wird der Vorerbe vielfach von den Beschränkungen der §§ 2113 ff. BGB befreit sein. Der Erstversterbende wird aber regelmäßig nicht bereit sein, diese Befreiungen auch im Fall der Wiederheirat bestehen zu lassen. Deshalb ist auch bei der Trennungslösung Regelungsbedarf für den Fall der Wiederheirat gegeben.
2. Klauselgruppen
Rz. 46
In der Praxis haben sich dazu im Wesentlichen drei verschiedene Klauselgruppen herausgebildet:
▪ |
Für den Fall der Wiederheirat wird angeordnet, dass sich der überlebende Ehegatte mit den Abkömmlingen nach der gesetzlichen Erbfolge auseinanderzusetzen hat. |
▪ |
Es wird bestimmt, dass der überlebende Ehegatte im Falle der Wiederheirat den gesamten Nachlass oder Teile davon an die Abkömmlinge herauszugeben hat. |
▪ |
Es werden für den Fall der Wiederheirat Vermächtnisse angeordnet. |
Rz. 47
Denkbar ist bei allen Klauseln auch die Anordnung, dass die Auseinandersetzung mit den Abkömmlingen auf den Tod des Längerlebenden aufgeschoben wird. Die Wiederverheiratungsklausel greift nicht bereits dann ein, wenn der Längerlebende eine nichteheliche Lebensgemeinschaft begründet, sofern sich nicht aus der entsprechenden Verfügung etwas anderes ergibt. Die rechtliche Zulässigkeit solcher Regelungen wird in der Rspr. bislang nicht problematisiert. Es gibt keine Entscheidung, wonach eine entsprechende Regelung etwa wegen Sittenwidrigkeit für nichtig erklärt worden wäre. Selbst im Großkommentar von Staudinger wird in der Kommentierung von Kanzleiter zu § 2269 BGB kein einziges Wort auf die Frage einer etwaigen Sittenwidrigkeit oder Unwirksamkeit solcher Klauseln verwandt. Für die Praxis ist daher von der Wirksamkeit der vorgenannten Standardklauseln auszugehen.
3. Sittenwidrigkeit der Wiederverheiratungsklausel
Rz. 48
In der Lit. wird teilweise versucht, für bestimmte Fallkonstellationen eine Sittenwidrigkeit solcher Wiederverheiratungsklauseln zu begründen. Dabei wird man sich von der Faustregel leiten lassen können, dass eine Sittenwidrigkeit desto eher droht, je weniger dem überlebenden Ehegatten im Fall der Wiederverheiratung verbleiben soll. Gleichfalls wird vertreten, dass eine Sittenwidrigkeit dann in Betracht kommen soll, wenn die Klausel den Zweck hat, den überlebenden Ehegatten über den Tod hinaus zu binden und ihn im Fall der Wiederheirat mit Enterbung zu bestrafen (sog. Zölibatsklausel). Beweispflichtig dafür wäre derjenige, der sich auf Sittenwidrigkeit beruft.
Das OLG Saarbrücken hat in einer eingehend begründeten Entscheidung eine Wiederverheiratungsklausel für sittenwidrig erklärt.
Rz. 49
Praxistipp
Will man hier angesichts der vorgenannten Entscheidung des OLG Saarbrücken auf der sicheren Seite sein, wird man daher empfehlen, dem Überlebenden für den Fall der Wiederheirat zumindest wertmäßig seinen Pflichtteil und den Zugewinnausgleich zu belassen. Gleichfalls wird empfohlen, dass die Beschränkungen des Überlebenden für den Fall der Wiederheirat nicht weiter gehen sollten, als dass der Überlebende ab der Wiederheirat zum Vorerben eingesetzt ist, der Nacherbfall aber erst mit seinem Tod eintreten soll. Das BayObLG hatte eine Klausel mit Anordnung der gesetzlichen Erbfolge im Fall der Wiederheirat für unbedenklich erklärt.
4. Rechtsstellung der Beteiligten
Rz. 50
Je nachdem, ob das gemeinschaftliche Testament die Trennungslösung oder die Einheitslösung anwendet, ist hinsichtlich der Rechtsstellung der Beteiligten zu unterscheiden:
a) Trennungslösung
Rz. 51
Hier ergibt sich durch die Wiederverheiratungsklausel lediglich ein weiterer Fall des ohnehin angeordneten Eintrittes der Nacherbfolge. Dieser ist aufschiebend bedingt an die Wiederheirat geknüpft. Da die Vor-/Nacherbschaft bei der Trennungslösung ohnehin unbedingt angeordnet ist, wird diese durch die zusätzliche Aufnahme einer Wiederverheiratungsklausel nicht zu einer insgesamt bedingten Vor-/Nacherbschaft. Da...