Rz. 29

Ermächtigt ein Ehegatte den anderen, Verfügungen einseitig aufzuheben oder zu ändern, so bedeutet dies nicht zwangsweise den Ausschluss der Wechselbezüglichkeit,[119] kann aber daraus gefolgert werden.[120] Möglich ist aber auch, dass die Ehegatten durch die Ermächtigung zu anderweitigen Verfügungen lediglich die Bindungswirkung beschränken oder aufheben wollten. Dann bleibt es dabei, dass die wechselbezüglichen Verfügungen in ihrer Wirksamkeit aneinander gebunden sind, dem überlebenden Ehegatten jedoch abweichende Verfügungen zu Lebzeiten und von Todes wegen erlaubt sind. Im Zweifel wird diese Auslegung den Vorrang verdienen.[121] Die Klausel "Der Überlebende von uns darf frei und unbeschränkt über das Vermögen verfügen" ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte im oder außerhalb des Testaments im Zweifel dahingehend auszulegen, dass die testierenden Ehegatten nur zu Verfügungen unter Lebenden, nicht aber zu abweichenden Verfügungen von Todes wegen ermächtigt sein sollten.[122] Es ist auch möglich, dass sich eine Ermächtigung zum Widerruf der Bindungswirkung im Wege einer ergänzenden Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments ergeben kann.[123] Für die Ermittlung dieses mutmaßlichen (hypothetischen) Willens ist, wie stets bei einem Ehegattentestament, die Willensrichtung beider Ehegatten maßgebend.[124] Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin, dass in den Fällen, in denen Eltern ihre gemeinschaftlichen Kinder zu Schlusserben bestimmen, es ihrem gemeinschaftlichen Willen entspricht, dass der überlebende Elternteil bei Vermögenszuwächsen nach dem Tod des Erstversterbenden oder dann entstehenden Familienstreitigkeiten zu einer Änderung des Testaments berechtigt sein sollte.[125] Stets ist sowohl hinsichtlich der Annahme als auch des Umfangs der Abänderungsbefugnis ein strenger Maßstab anzulegen.[126] Zu weitgehend erscheinen daher die Bemühungen Kanzleiters, der für Fälle des Eingreifens einer Pflichtteilsstrafklausel dieser im Wege der ergänzenden Auslegung eine Abänderungsbefugnis des Überlebenden zugunsten eines behinderten Kindes entnehmen will.[127]

[119] BGH NJW 1987, 901; BGH NJW 1964, 2056; OLG Stuttgart MDR 1986, 674; BayObLG FamRZ 1987, 638.
[120] BGH FamRZ 1956, 83; BayObLG FamRZ 1987, 638; RGZ 79, 34.
[121] Staudinger/Kanzleiter, § 2270 Rn 10.
[122] SchlHOLG v. 27.1.2014 – 3 Wx 75/13, zit. nach juris; OLG Hamm ZErb 2002, 160, 161; BayObLG FamRZ 1985, 209, 210; KG JW 1936, 3264, 3265; OLG München JFG 15, 353, 358; Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rn 57.
[125] OLG Hamm ZErb 2002, 160, 161; ablehnend im konkreten Fall bspw. OLG München v. 28.3.2011 – 31 Wx 93/10, ZErb 2011, 212 = NJW-RR 2011, 1020 = FamRZ 2011, 1817.
[126] OLG München NJW-RR 2011, 1020 = ZErb 2011, 212.
[127] Kanzleiter, DNotZ, 2014, 5, dort unter V., in einer Urteilsanm. zu OLG Hamm v. 28.2.2013 – I-10 U 71/12, NJW-RR 2013, 202 = FamRZ 2013, 405.

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