I. Allgemeines
Rz. 8
Führt die Auslegung trotz Ausschöpfung aller Auslegungsmöglichkeiten nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, ist der Weg frei für die Anwendung der Auslegungsregel des Abs. 2. Danach ist die Wechselbezüglichkeit hinsichtlich der konkret untersuchten einzelnen Verfügung anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedacht haben, oder wenn ein Ehegatte den anderen bedacht und dieser Verfügungen zugunsten eines Dritten getroffen hat, der mit dem Erstgenannten verwandt ist oder diesem sonst nahe steht.
II. Einzelne Fälle des Abs. 2, die auch miteinander verbunden werden können
1. Variante 1
Rz. 9
Die Ehegatten bedenken sich gegenseitig. Sie können sich gegenseitig als Erben oder Vorerben bedenken. Dafür ist es auch ausreichend, wenn die Ehegatten sich gegenseitig Vermächtnisse aussetzen oder für den einen eine Vermächtnisanordnung erfolgt und der andere als Erbe eingesetzt wird.
Rz. 10
Umstritten ist aber, ob die Begünstigung in einer Auflage ausreichend ist. Da Abs. 3 ausdrücklich die Anwendbarkeit des Abs. 1 auf Auflagen erstreckt, steht fest, dass auch Auflagen wechselbezüglich sein können. Der Begriff des sich gegenseitigen Bedenkens in Abs. 2 schließt die Zuwendung durch Auflagen sprachlich mit ein und ist auch kein gesetzestechnischer Spezialbegriff, der ansonsten in der Gesetzessprache nur mit Erbeinsetzung oder Vermächtnisanordnung in Verbindung gesetzt wird. Auch vom Ergebnis her betrachtet erscheint es wenig sinnvoll, ein Bedenken durch Auflagen vom Anwendungsbereich des Abs. 2 auszuschließen. Die Grenze zwischen Auslegung und Anwendung der Auslegungsregel ist in der Anwendungspraxis fließend. Insbesondere im Bereich der ergänzenden Auslegung bzw. der Anwendung der Andeutungstheorie handelt man tatsächlich mit Fiktionen und Wertungen. Ob man hier durch Auslegung zu einem Ergebnis gelangt, wird oft von Zufälligkeiten (welche Umstände außerhalb der Testamentsurkunde, die angedeutet sind, sind bekannt, wer nimmt die Auslegung in welcher Situation und vor welchem Hintergrund vor) abhängen. Dieses zufällige Element wird ausgeschaltet, wenn eine Anwendbarkeit der Auslegungsregel des Abs. 2 auf Auflagen bejaht wird.
Rz. 11
Auch die testamentarische Anordnung der gesetzlichen Erbfolge kann wechselbezüglich sein, wobei dafür auch schon genügen soll, wenn die Ehegatten im Testament der gesetzlichen Erbfolge auch nur stillschweigend freien Lauf lassen.
2. Variante 2 und Variante 3
Rz. 12
Der andere Ehegatte wird bedacht, wobei dieser eine mit dem zuwendenden Ehegatten verwandte oder diesem nahestehende Person bedenkt.
a) Verwandte
Rz. 13
Diese Regelung beruht auf dem Gedanken, dass der den anderen bedenkende Ehegatte in der Einsetzung der verwandten oder nahestehenden Person eine Gegenleistung erblickt. Der Begriff der Verwandtschaft ergibt sich aus dem Gesetz, § 1589 BGB. Da Verschwägerte nicht verwandt sind i.S.d. Gesetzes, können sie nur unter der Fallgruppe der sonst nahestehenden Personen berücksichtigt werden.
b) Gemeinsame Kinder
Rz. 14
Auch die gemeinsamen Kinder sind Verwandte. Da die Auslegungsregel des Abs. 2 nur anwendbar ist auf Verwandte, zugunsten derer eine Verfügung "getroffen" wurde, war str., ob eine solche Anordnung auch für diejenigen wechselbezüglich sein kann, die bei Wegfall der bedachten Abkömmlinge an deren Stelle treten. Dies sollte nur dann der Fall sein, wenn sich positiv ein dahingehender Wille der Erblasser im Wege der Auslegung feststellen lässt, nicht aber wenn dieses Ergebnis sich nur auf die Auslegungsregel des § 2069 BGB stützt. Diese Ansicht wurde auf den Vorlagebeschluss des BayObLG hin durch den BGH bestätigt. Die Ersatzerbenberufung muss auf einem feststellbaren Willen der Ehegatten beruhen und nicht auf einer Anwendung des § 2069 BGB. Ein solcher feststellbarer Wille ist bspw. in den Fällen gegeben, in denen die Ehegatten ihre Abkömmlinge als Schlusserben einsetzen, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um gemeinsame Kinder handelt oder nur um Kinder eines der Ehegatten. Dann sind auch die Nachkommen eines vorverstorbenen Schlusserben zu Ersatzerben berufen.
c) Nahestehende Personen
Rz. 15
Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu entscheiden, wobei an die Annahme des Näheverhältnisses hohe Anforderungen zu stellen sind, um den Anwendungsbereich des Abs. 2 nicht ausufern und so zur gesetzlichen Regel werden zu lassen. Als nahestehende Personen kommen im Regelf...