I. Unwirksamkeit der korrespektiven Verfügung
1. Allgemeines
Rz. 21
Zum einen hat der Widerruf oder die Nichtigkeit einer Verfügung die Unwirksamkeit aller Verfügungen zur Folge, die zu ihr im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit stehen. Diese Wirkung tritt unabhängig vom Willen des Ehegatten ein, dessen Verfügungen von der Unwirksamkeit der Verfügungen des anderen Ehegatten infiziert werden. Die Verfügungen sind kraft Gesetzes und automatisch unwirksam. Bei Nichtigkeit oder Nichtigkeit durch Anfechtung (siehe § 142 BGB) einer Verfügung ist die dazu wechselbezügliche Verfügung von Anfang an unwirksam. Bei Unwirksamkeit einer wechselbezüglichen Verfügung durch Widerruf oder durch den Eintritt einer Bedingung (§ 158 BGB) liegt Unwirksamkeit erst ab Widerruf oder ab Eintritt der Bedingung vor. Über § 159 BGB kann jedoch eine schuldrechtliche Rückwirkung des Bedingungseintritts gewollt sein. Worauf die Nichtigkeit beruht, ist gleichgültig. In Betracht kommen sämtliche formelle, als auch materielle Nichtigkeitsgründe. Dies führt dazu, dass die Vorschrift des Abs. 1 auch dann Wirksamkeit entfaltet, wenn ein gemeinschaftliches Testament zwar gewollt ist, aber aus Formgründen nicht zustande gekommen ist.
2. Beispiel
Rz. 22
Die Unterschrift eines der beiden Ehegatten unter das als gemeinschaftlich gewollte Testament fehlt. In diesem Fall kann die Frage nach der Wechselbezüglichkeit nicht mit der Überlegung für unerheblich gehalten werden, dass hier mangels Einhaltung der Formvorschriften ohnehin kein wirksames gemeinschaftliches Testament vorliege. Denn aufgrund der fehlenden Unterschrift des einen Ehegatten können sich sehr wohl Auswirkungen auf die letztwilligen Verfügungen desjenigen Ehegatten ergeben, dessen Unterschrift sich unter dem als gemeinschaftliches Testament gewollten Testament befindet. Wendet man in diesem Fall Abs. 1 an, so sind sämtliche Verfügungen, die im Verhältnis der Wechselbezüglichkeit zu den Verfügungen des nicht unterzeichnenden Ehegatten stehen sollten, kraft Gesetzes unwirksam. Folgt man dieser Ansicht, so müsste im Weiteren für die Wirksamkeit der konkreten Verfügung geprüft werden, ob sie im Wege der Umdeutung als einseitig wirksame letztwillige Verfügung aufrechterhalten werden könnte.
Rz. 23
Es ist grundsätzlich zulässig, die in dem Entwurf eines gemeinschaftlichen Testaments enthaltenen Anordnungen als wirksame einseitige Verfügungen aufrechtzuerhalten. Eine wirksame einseitige Verfügung kann aber in solchen Fällen nur dann vorliegen, wenn der Wille desjenigen, der seine Erklärung bereits formgültig abgegeben hat, dahin geht, dass seine Verfügung, die er als gemeinschaftliches Ehegattentestament entworfen hatte, unabhängig vom Beitritt des anderen Ehepartners gelten sollte. Eine andere Auffassung geht davon aus, dass bei einer ursprünglichen, von den Ehegatten nicht erkannten Unwirksamkeit einer wechselbezüglichen Verfügung die Anwendung des Abs. 1 verfehlt wäre und durch eine regelmäßige entgegenstehende Auslegung einzuschränken ist. Nach hiesiger Auffassung setzt Abs. 1 bereits seinem Wortlaut nach ein gemeinschaftliches Testament voraus, kann also in den Fällen, in denen ein solches mangels Formwirksamkeit nicht vorliegt, gerade nicht angewendet werden. Auch dies enthebt jedoch nicht von der Notwendigkeit zu prüfen, ob eine Umdeutung in ein wirksames einseitiges Testament nach den von der Rspr. dafür aufgestellten Voraussetzungen im Wege der Umdeutung angenommen werden kann.
3. Wirksamkeit nicht wechselbezüglicher Verfügungen
Rz. 24
Die Wirksamkeit aller anderen nicht wechselbezüglichen Verfügungen beurteilt sich nach § 2085 BGB. Der Bestand der Verfügungen des jeweils anderen Ehegatten kann – auch stillschweigend – zur Bedingung der eigenen Verfügungen eines Ehegatten gemacht worden sein.
4. Widerruf
Rz. 25
Besteht keine der vorgenannten Verknüpfungen, kann sich der Erblasser nach § 2253 Abs. 1 BGB durch Widerruf von den seinem aktuellen Willen nicht mehr entsprechenden Verfügungen lösen. Nach seinem Tod bestehen des Weiteren möglicherweise Anfechtungsgründe, § 2078 Abs. 2 BGB. Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen kann zu Lebzeiten nur nach § 2271 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 2296 BGB erfolgen. Danach ist der Widerruf durch einen Vertreter unzulässig und bedarf der notariellen Beurkundung und ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung. Nach dem Tod des anderen Ehegatten und nachdem der Überlebende das...