Rz. 81

Angefochten werden können vom Überlebenden sowohl die eigenen als auch die Verfügungen des vorverstorbenen Ehegatten. Hinsichtlich der eigenen Verfügungen kommt eine Anfechtung aber nur für die wechselbezüglichen Verfügungen in Betracht. Die eigenen einseitigen Verfügungen kann der Überlebende auch nach dem Tod des Erstversterbenden nach §§ 2253 ff. BGB[203] widerrufen.

 

Rz. 82

Die wechselbezüglichen Verfügungen werden genauso angefochten wie vertragsmäßige Verfügungen, die in einem Erbvertrag enthalten sind, nach §§ 2281 ff. BGB i.V.m. §§ 2078, 2079 BGB.[204] Aufgrund der ähnlichen Bindungswirkung beim gemeinschaftlichen Testament und vertragsmäßigen Verfügungen im Erbvertrag besteht eine vergleichbare Interessenlage, die eine analoge Anwendung der vorstehenden Vorschriften bedingt.[205]

 

Rz. 83

Die Anfechtungsgründe sind die der §§ 2078, 2079 BGB. Auf die Kommentierung zu diesen Vorschriften kann insoweit verwiesen werden. Eine Anfechtung setzt voraus, dass der Überlebende bei Kenntnis der wahren Sachlage seine Verfügungen nicht getroffen haben würde (§§ 2078 Abs. 1, Abs. 2, 2079 S. 2 BGB).[206] Ob eine Anfechtung nach § 2078 BGB bei einem Irrtum des Erblassers über die Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen berechtigt ist, erscheint fraglich.[207]

 

Rz. 84

Beim gemeinschaftlichen Testament stellt sich damit die umstrittene Frage, ob bei der Ermittlung des dafür maßgeblichen Willens der Wille beider Ehegatten, also auch der des Verstorbenen, berücksichtigt werden muss.[208] Da die Anfechtung auf Mängel bei der Willensbildung zielt, es aber auch beim gemeinschaftlichen Testament zunächst einmal individuelle Willensbildungen bei den einzelnen Ehegatten geben muss, wird man bei der Anfechtung entgegen den sonstigen Grundsätzen bei der Auslegung von gemeinschaftlichen Testamenten auf den Willen allein des Ehegatten abstellen müssen, dessen Verfügung angefochten werden soll.[209] Der andere Ehegatte wird ausreichend durch § 2270 Abs. 1 BGB geschützt.

 

Rz. 85

Die Anfechtung kann im gemeinschaftlichen Testament auch ausgeschlossen werden. Ferner können die Ehegatten darin bestimmen, dass das Testament beim etwaigen Übergehen von Pflichtteilsberechtigten Bestand haben soll.[210]

 

Rz. 86

Wird die anfechtbare Verfügung von dem anfechtungsberechtigten Ehegatten bestätigt, dann geht das Anfechtungsrecht insoweit verloren (§§ 144, 2284 BGB).[211] Eine solche Bestätigung kann auch formlos und konkludent erfolgen.[212] Eine Anfechtung ist dem Überlebenden auch dann verwehrt, wenn er die Voraussetzungen der Anfechtung gegen Treu und Glauben oder durch ein gegen die guten Sitten gerichtetes Verhalten selbst herbeigeführt hat.[213]

[203] BGH FamRZ 1956, 83, 84; BayObLGZ 21, 277, 278.
[204] BGHZ 37, 331, 333; BGH FamRZ 1970, 79, 80.
[205] RGZ 77, 168; RGZ 87, 98.
[206] BayObLG NJW 1971, 1565; MüKo/Musielak, § 2271 Rn 36.
[207] BayObLG FamRZ 2003, 359.
[208] So OLG Hamm NJW 1972, 1088; a.A. Soergel/Wolf, § 2271 Rn 34.
[209] MüKo/Musielak, § 2271 Rn 36.
[210] MüKo/Musielak, § 2271 Rn 37.
[211] BayObLGZ 1954, 71, 77; MüKo/Musielak, § 2271 Rn 37.
[212] MüKo/Musielak, § 2271 Rn 37; Staudinger/Kanzleiter, § 2271 Rn 81.
[213] BGHZ 4, 91; BGH FamRZ 1962, 428; BGH NJW 1970, 279.

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