Rz. 34
Mit dem ersten Todesfall erlischt das Recht zum Widerruf der wechselbezüglichen Verfügungen (Abs. 2 S. 1). Damit tritt die Bindung des überlebenden Ehegatten an seine wechselbezüglichen Verfügungen ein.
I. Postmortales Widerrufsrecht
Rz. 35
Da die Ehegatten jedoch diese Bindungswirkung beschränken oder ganz ausschließen können, ist es ihnen auch möglich, Widerrufsmöglichkeiten über den Tod des erstversterbenden Ehegatten hinaus vorzusehen. Dies kann bis zu einem völlig freien Widerrufsrecht des überlebenden Ehegatten gehen und kann unbedingt oder unter beliebigen Bedingungen erfolgen, Beispiel: Wiederheirat/Geltendmachung des Pflichtteils beim ersten Erbfall. In einer solchen Berechtigung zum Widerruf liegt aber nicht notwendigerweise ein Ausschluss der Wechselbezüglichkeit. Die Ausübung dieses "postmortalen" Widerrufsrechts kann entsprechend § 2297 BGB nur durch Errichtung eines neuen Testaments erfolgen. Eine Vernichtung des gemeinschaftlichen Testaments oder die Anbringung von nicht unterschriebenen Ungültigkeitsvermerken auf dem gemeinschaftlichen Testament ist wirkungslos. Eine notarielle Beurkundung des Widerrufs und eine Zustellung ist nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten nicht nötig. Es ist daher hier zutreffend, zur Abgrenzung vom Widerruf zu Lebzeiten von einer Aufhebungs- oder Abänderungsbefugnis zu sprechen. Auch diese Aufhebung selbst braucht wiederum nicht ausdrücklich erklärt zu werden, sondern kann sich erst durch Auslegung des Erklärten ergeben. Wiederholt der überlebende Ehegatte etwa die Verfügungen aus dem gemeinschaftlichen Testament, lässt er dabei aber einen dort eingesetzten Ersatzerben unerwähnt, so kann darin eine Aufhebung der Ersatzerbeneinsetzung liegen. Dazu müsste aber festgestellt werden können, dass die neuerliche Verfügung von Todes wegen als abschließende Regelung gewollt war.
Rz. 36
Die Nennung eines Entziehungsgrundes entsprechend § 2336 Abs. 2 BGB ist nicht erforderlich. Ist dem überlebenden Ehegatten diese Aufhebungsbefugnis nur bei Vorliegen bestimmter Gründe eingeräumt, so ist die Angabe von Gründen jedenfalls dann nicht nötig, wenn das Testament nur einen solchen Aufhebungsgrund vorsieht. Ein solcher Änderungsvorbehalt kann ausdrücklich im gemeinschaftlichen Testament enthalten sein oder sich erst im Wege der Auslegung daraus entnehmen lassen. Die besonders häufig anzutreffende Formulierung, der überlebende Ehegatte solle zur freien Verfügung über die Erbschaft berechtigt sein, gibt im Zweifel dem überlebenden Ehegatten nur die Befugnis zu freien lebzeitigen Verfügungen, nicht aber zu freien Verfügungen von Todes wegen. Wird die Änderungsbefugnis des Überlebenden von bestimmten Tatsachen abhängig gemacht, gleichzeitig aber angeordnet, dass eine gerichtliche Nachprüfung ausgeschlossen sein soll, dann ist es den Gerichten verwehrt, die sachliche Berechtigung des Widerrufsgrundes zu überprüfen.
Rz. 37
Praxistipp
Wollen die Erblasser bei gewissen Bedingungen dem Überlebenden ein Widerrufsrecht einräumen, so empfiehlt sich die Aufnahme einer entsprechenden Klausel, damit Streitigkeiten über die sachliche Berechtigung des Widerrufs weitgehend vermieden werden können.
II. Änderungsvorbehalt bei Wiederverheiratungsklauseln
Rz. 38
Besonders häufig ist auch der Fall der Einräumung eines durch die Wiederheirat bedingten Aufhebungsrechts für den Überlebenden. Haben die Ehegatten bei einem Berliner Testament (§ 2269 BGB) bestimmt, dass im Falle der Wiederheirat der Überlebende sich mit den zu Schlusserben eingesetzten Kindern nach der gesetzlichen Erbfolge auseinanderzusetzen hat, so ist im Zweifel bestimmt, dass der Überlebende zumindest hinsichtlich der Einsetzung der Kinder auf seinen Nachlass befreit ist. Nach Durchführung der Teilung des Nachlasses des Erstverstorbenen mit den Kindern kann der Überlebende dann frei über den restlichen Nachlass und sein sonstiges Vermögen verfügen. Fehlt eine Wiederverheiratungsklausel im gemeinschaftlichen Testament, dann kann daraus nicht auf eine Abänderungsbefugnis des Überlebenden geschlossen werden.