I. Eintritt der Bindungswirkung
Rz. 43
Mit dem Tod des Erstversterbenden erlischt das Recht zum Widerruf der wechselbezüglichen Verfügungen (Abs. 2 S. 1). Da die sich daraus ergebende Bindungswirkung der Bindung des Erblassers an vertragsmäßige Verfügungen aus seinem Erbvertrag ähnelt, sind bei der Aufhebung dieser Bindung einige Bestimmungen über den Erbvertrag entsprechend anzuwenden (Abs. 2 S. 2, Abs. 3). Die Bindung des Überlebenden scheidet nicht etwa aus, wenn der Nachlass des Erstversterbenden überschuldet oder wegen dessen Vermögenslosigkeit wirtschaftlich gesehen nichts wert ist. Die Bindungswirkung tritt kraft Gesetzes mit dem Tod des Erstversterbenden ein. Dem Überlebenden steht dann aber gem. Abs. 2 S. 1 Hs. 2 das Recht zur Ausschlagung zu, um so seine Verfügungsfreiheit wieder zu erlangen. Es handelt sich daher um eine auflösend bedingte Bindungswirkung. Daraus ergibt sich auch, dass die Bindung besteht, wenn der Überlebende stirbt, ohne zuvor ausgeschlagen oder angenommen zu haben. Dies bedeutet beim Vermächtnis, bei dem für die Ausschlagung keine Frist vorgesehen ist (§§ 1943, 1944, 2180 BGB), dass die Bindung bestehen bleibt, wenn der Ehegatte verstirbt, bevor er ausgeschlagen hat. Die Bindungswirkung tritt auch dann ein, wenn der überlebende Ehegatte überhaupt nicht bedacht wurde, dann liegt nämlich keine Zuwendung vor, die ausgeschlagen werden könnte, und erstreckt sich nicht nur auf das Vermögen des Erstverstorbenen, sondern auch auf das Vermögen des Überlebenden, gleichgültig ob dieser es bis zum ersten Todesfall erworben hatte oder erst danach. Der Überlebende muss daher auch in diesen letztgenannten Fällen ausschlagen, will er sich von der Bindungswirkung befreien. Gleiches gilt, wenn zwar eine Zuwendung erfolgte, der Nachlass aber wirtschaftlich wertlos ist.
II. Bindung und Wiederheirat
Rz. 44
Für den Fall der Wiederheirat hindert die Bindungswirkung den Überlebenden nicht daran, in der neuen Ehe Gütergemeinschaft zu vereinbaren. Weiter kann der neue Ehegatte bei Zugewinngemeinschaft nach dem Tod des Überlebenden Pflichtteils- und Zugewinnausgleichsansprüche gegen die Schlusserben geltend machen.
III. Verfügungsfreiheit
Rz. 45
Durch den Eintritt der Bindungswirkung wird nicht die Testierfähigkeit beschränkt, sondern lediglich die Testierfreiheit. Weiterhin wird durch die Bindungswirkung nicht die Befugnis des Überlebenden zu Verfügungen unter Lebenden beschränkt. Dieser kann insoweit frei verfügen, da § 2286 BGB hier entsprechend anwendbar ist. Auch hier wirkt sich also die Ähnlichkeit zum Erbvertrag und dessen Bindungswirkung der vertragsmäßigen Verfügungen aus. In einer Formulierung wie "Der Überlebende von uns ist durch dieses Testament nicht beschwert oder beschränkt und kann in jeder Weise frei verfügen" liegt regelmäßig keine über die Befugnis zu Lebzeiten des Überlebenden hinausgehende Abänderungsbefugnis des gemeinschaftlichen Testaments. Damit stehen den Überlebenden insbesondere frei: die Vereinbarung gesellschaftsrechtlicher Nachfolgeklauseln, welche ein Rechtsgeschäft unter Lebenden darstellen, Schenkungen unter Lebenden auf den Todesfall und Verträge zugunsten Dritter nach § 331 BGB.
Rz. 46
Im Regelfall liegt in solchen Geschäften keine Umgehung von Abs. 2. Schließlich sind sogar Schenkungen wirksam, die in der Absicht, die Schlusserben zu benachteiligen, vorgenommen werden. Dies ergibt sich aus einer analogen Anwendung des § 2287 BGB. Denn selbst nach § 2287 BGB hat der Schlusserbe dann nur einen Bereicherungsanspruch gegen den Beschenkten. Wirksam sind die lebzeitigen Verfügungen auch, wenn dadurch ein Vermächtnis beeinträchtigt wird. Solange kein Verschaffungsvermächtnis nach § 2169 Abs. 1 BGB vorliegt, stehen dem Vermächtnisnehmer nur die Rechte aus § 2288 Abs. 2 BGB zu.
Rz. 47
Festzuhalten bleibt also: Lebzeitige Verfügungen sind selbst dann wirksam, wenn Nachlassgegenstände in Benachteiligungsabsicht übertragen werden. Lediglich bei Vorliegen besonderer Umstände kann ein Fall des § 138 BGB gegeben sein. Zu prüfen ist dann, ob ein Bereicherungsanspruch gegen den Beschenkten analog §§ 2287, 2288 BGB besteht. Deren Schutz kann nie weiter reichen als die Bindung. Daher kann deren Schutz auch nicht vor Eintreten der Bindungswirkung eingreifen. Neben diesen Vorschriften ist § 826 BGB nur unter ganz besonderen Voraussetzungen gegeben.