1. Allgemeines
Rz. 66
Eine Aufhebung ist auch bei Verfehlungen des Bedachten möglich, § 2271 Abs. 2 S. 2 i.V.m. §§ 2333, 2336, 2294 BGB. Auch nach der Annahme des Zugewendeten ist diese Aufhebung möglich, wenn der Bedachte sich einer Verfehlung schuldig macht, die den Erblasser zur Entziehung des Pflichtteils berechtigt (§ 2333 BGB), oder ihn für den Fall, dass der Bedachte pflichtteilsberechtigt wäre, zur Entziehung berechtigen würde (§ 2294 BGB). Es muss also in beiden Varianten eine Verfehlung nach § 2333 BGB vorliegen.
Rz. 67
Es wird vertreten, dass die Verfehlung, die einer Aufhebung zugrunde gelegt werden soll, nach Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments begangen worden sein muss. Wenn die Verfehlung vor der gemeinschaftlichen Testierung begangen ist, soll lediglich eine Anfechtung in Betracht kommen. Diese Ansicht findet aber keine Stütze im Gesetzeswortlaut. § 2271 Abs. 2 S. 2 BGB trifft keine derartigen Einschränkungen, sondern legt in einer rein zeitlichen Abfolge folgende Schritte fest: Widerruf zu Lebzeiten des anderen Testierenden. Nach dem Tod aber vor Annahme der Zuwendung Ausschlagung und nach der Annahme der Zuwendung Aufhebung in den Fällen der §§ 2294 und 2333 BGB. § 2336 BGB legt als relevanten Zeitpunkt nur fest, dass die Verfehlung bei Errichtung der entziehenden Verfügung begangen sein muss, setzt aber keine weitere zeitliche Grenze. Damit greift die Vorschrift auch für Verfehlungen, die vor Testierung begangen sind. Waren diese bei Testierung bekannt, scheidet eine Anfechtung mangels Irrtums aus. In der gleichwohl erfolgenden Erbeinsetzung wird regelmäßig eine Verzeihung nach § 2337 BGB liegen, so dass eine Aufhebung nach § 2271 Abs. 2 S. 2 BGB ausscheidet.
Rz. 68
Der Grund hierfür liegt in Folgendem: Die Anfechtung betrifft Fälle der irrtumsbehafteten Willensbildung bei Testamentserrichtung und liegt damit strukturell auf einer anderen Ebene als die rein objektiv an das Vorliegen einer schweren Verfehlung anknüpfende Normen des § 2271 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 2294 BGB und des § 2333 BGB. Dass in der schweren Verfehlung auch ein Anfechtungsgrund liegen kann, wenn die Verfehlung bereits bei Testamentserrichtung begangen (aber unbekannt) war, führt nicht zu einem Alternativverhältnis der beiden Rechtsinstitute, sondern dazu, dass in solchen Fällen sowohl die Anfechtung als auch die Aufhebung für den überlebenden Ehegatten in Betracht kommen können.
Rz. 69
Die Aufhebung muss in der Form des § 2336 BGB durch letztwillige Verfügung erfolgen. Darin ist zwingend der Grund der Aufhebung so genau wie möglich zu bezeichnen.
Rz. 70
Praxistipp
Dringend zu empfehlen ist in der Praxis für den Aufhebenden eine Sicherung der Beweismittel, denn die Tatsachen, die die Aufhebung rechtfertigen sollen, müssen von demjenigen bewiesen werden, der die Aufhebung geltend macht (§ 2336 Abs. 3 BGB). Dies erstreckt sich sogar auf die Pflicht, auch Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe des Bedachten zu widerlegen.
2. Vorliegen des Aufhebungsgrundes
Rz. 71
Der Aufhebungsgrund muss zur Zeit der Aufhebung noch gegeben sein. Er darf daher nicht durch Verzeihung nach § 2337 S. 1 BGB entfallen sein.
Unklar ist, was gelten soll, wenn eine Verzeihung zeitlich nach der Aufhebung erfolgt. Hierzu wird vertreten, die nachträgliche Verzeihung würde nichts an einer einmal erfolgten Aufhebung ändern. Begründet wird dies damit, dass in§ 2294 BGB und in § 2271 Abs. 2 S. 2 BGB eine Verweisung auf die analoge Anwendbarkeit von § 2337 S. 2 BGB fehlt. Nach derselben Ansicht soll es aber dann anders sein, wenn die Verzeihung vor der Aufhebung erfolgt. Damit soll auch nach dieser Ansicht das Recht zur Aufhebung entfallen. Dem kann nicht gefolgt werden: In § 2271 Abs. 2 S. 2 BGB wird weder auf § 2337 S. 1 BGB noch auf § 2337 S. 2 BGB Bezug genommen. Es ist daher inkonsistent für § 2337 S. 2 BGB daraus auf Nichtanwendbarkeit schließen zu wollen, den S. 1 der Vorschrift aber gleichwohl anwenden zu wollen.
3. Wirkung der Aufhebung
Rz. 72
Im Umfang der Aufhebung wird der Überlebende von der Bindung an das gemeinschaftliche Testament befreit. Die Aufhebung führt nicht zum Wegfall des Bedachten, der sich der schweren Verfehlung schuldig gemacht hat, i.S.d. § 2069 BGB, mit der Folge, dass nun dessen Abkömmlinge als Ersatzerben an dessen Stelle treten würden. Der Erblasser wird durch die Aufhebung im Gegenteil frei, neu zu testieren. Etwas anderes kann sich selbstverständlich dann ergeben, wenn der Wille beider Erblasser im gemeinschaftlichen Testament in eine andere Richtung ging.
Rz. 73
Da Abs. 2 S. 2 davon ausgeht, dass der Überlebende die Zuwendung des Erstversterbenden angenommen hat, bleiben die Verfügungen des Erstversterbenden auch im Fall der Aufhebung der Verfügung des Überlebenden wirksam und werden nicht unwirksam nach § 2270 Abs. 1 BGB. Dies wird auch auf die Annahme einer stillschweigenden Ermächtigung zu einer Aufhebun...