Rz. 16
Der Zugang des Widerrufs kann nur gegenüber dem lebenden Erklärungsempfänger erfolgen; deswegen ist der Widerruf nur wirksam, wenn er dem Erklärungsempfänger noch zu Lebzeiten zugeht, nicht aber, wenn dieser nach Abgabe, aber vor Zugang der Erklärung bei ihm verstirbt. Der Zugang des Widerrufs ist aber auch noch nach dem Tod des Erklärenden möglich und wirksam. § 130 Abs. 2 BGB ist in diesen Fällen anwendbar, aber einer eingeschränkten Auslegung unterworfen, um den Schutz des Erklärungsempfängers zu gewährleisten. Dieser soll nach Möglichkeit im Todeszeitpunkt sich darüber im Klaren sein, ob die wechselbezüglichen Verfügungen gelten oder ob sie qua Widerruf unwirksam sind (§ 2270 Abs. 1 BGB).
Rz. 17
Daraus ergeben sich folgende Einschränkungen der Grundregel des § 130 Abs. 2 BGB: Lässt der Versterbende seinen Widerruf bewusst und geplant dem anderen Ehegatten erst nach seinem Tod zugehen, so ist der Widerruf nicht wirksam erklärt. Dies würde Sinn und Zweck des § 130 Abs. 2 BGB widersprechen, der schließlich nicht eine Zustellung nach dem Tod erlaubt, sondern die Wirksamkeit einer Willenserklärung bei zufälligem Versterben des Erklärenden nach Abgabe, aber vor Zugang beim Erklärungsempfänger regeln will. Auch würde dies der Regelung der §§ 2270, 2271 BGB zuwiderlaufen: Der widerrufende Ehegatte hätte im Falle des Vorversterbens des anderen erreicht, dass die zu seiner Verfügung wechselbezüglichen Verfügungen des anderen Ehegatten wirksam blieben, hätte im gegenteiligen Fall aber die von ihm selbst getroffenen Verfügungen, die er wechselbezüglich für den anderen Ehegatten getroffen hätte, aufgehoben, ohne dem anderen Ehegatten die Chance eines Reagierens zu lassen.
Rz. 18
Weiter darf der Zugang des Widerrufs zeitlich nicht erst so lange nach dem Tod des Erklärenden erfolgen, dass der Erklärungsempfänger redlicherweise mit dem Widerruf der wechselbezüglichen Verfügung nicht mehr rechnen musste. Maßgeblich dafür, ob nach dem Tod des Erklärenden der Widerruf eines gemeinschaftlichen Testaments noch wirksam zugestellt werden kann, ist, dass der Widerrufende zu Lebzeiten alles dafür getan hat, dass seine Willenserklärung dem Erklärungsempfänger zugeht – sie sich bei seinem Tod also "auf dem Weg" zum Erklärungsempfänger befindet – und die Zustellung alsbald nachfolgt.
Rz. 19
War die Zustellung der Widerrufserklärung zu Lebzeiten unwirksam, etwa aufgrund Formmangels der Übermittlung (Beispiel: Übermittlung lediglich einer Abschrift und nicht einer Ausfertigung), so kann dieser Mangel nicht dadurch geheilt werden, dass dem Erklärungsempfänger nach dem Tod des Erklärenden durch den Notar eine Ausfertigung zugestellt wird.