1. Allgemeines
Rz. 80
Eine Anfechtung des gemeinschaftlichen Testaments kommt erst nach dem Tod des Erstversterbenden in Betracht. Vorher ist sie durch die jederzeitige Möglichkeit des Widerrufs nach Abs. 1 verdrängt. Umstritten ist, ob ein Recht zur Anfechtung einseitiger Verfügungen dann analog § 2282 Abs. 2 BGB entsteht, wenn ein Ehegatte testierunfähig wird und daher keinen Widerruf mehr zu erklären vermag. Hier wird vertreten, dass einem Betreuer mit Genehmigung des Betreuungsgerichts ein Anfechtungsrecht zustehen könne. Dagegen spricht allerdings bereits, dass der Gesetzgeber die Problematik beim Erbvertrag gesehen hat, beim gemeinschaftlichen Testament aber keine Regelung getroffen hat. Damit liegt die für eine Analogie erforderliche gesetzliche Regelungslücke nicht vor. Ein Dritter kann bereits nach allg. Grundsätzen zu Lebzeiten nicht anfechten. Nach dem Tod des Erstversterbenden kann eine Anfechtung sowohl von dem Überlebenden als auch von Dritten erklärt werden.
2. Anfechtung des Überlebenden
Rz. 81
Angefochten werden können vom Überlebenden sowohl die eigenen als auch die Verfügungen des vorverstorbenen Ehegatten. Hinsichtlich der eigenen Verfügungen kommt eine Anfechtung aber nur für die wechselbezüglichen Verfügungen in Betracht. Die eigenen einseitigen Verfügungen kann der Überlebende auch nach dem Tod des Erstversterbenden nach §§ 2253 ff. BGB widerrufen.
Rz. 82
Die wechselbezüglichen Verfügungen werden genauso angefochten wie vertragsmäßige Verfügungen, die in einem Erbvertrag enthalten sind, nach §§ 2281 ff. BGB i.V.m. §§ 2078, 2079 BGB. Aufgrund der ähnlichen Bindungswirkung beim gemeinschaftlichen Testament und vertragsmäßigen Verfügungen im Erbvertrag besteht eine vergleichbare Interessenlage, die eine analoge Anwendung der vorstehenden Vorschriften bedingt.
Rz. 83
Die Anfechtungsgründe sind die der §§ 2078, 2079 BGB. Auf die Kommentierung zu diesen Vorschriften kann insoweit verwiesen werden. Eine Anfechtung setzt voraus, dass der Überlebende bei Kenntnis der wahren Sachlage seine Verfügungen nicht getroffen haben würde (§§ 2078 Abs. 1, Abs. 2, 2079 S. 2 BGB). Ob eine Anfechtung nach § 2078 BGB bei einem Irrtum des Erblassers über die Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen berechtigt ist, erscheint fraglich.
Rz. 84
Beim gemeinschaftlichen Testament stellt sich damit die umstrittene Frage, ob bei der Ermittlung des dafür maßgeblichen Willens der Wille beider Ehegatten, also auch der des Verstorbenen, berücksichtigt werden muss. Da die Anfechtung auf Mängel bei der Willensbildung zielt, es aber auch beim gemeinschaftlichen Testament zunächst einmal individuelle Willensbildungen bei den einzelnen Ehegatten geben muss, wird man bei der Anfechtung entgegen den sonstigen Grundsätzen bei der Auslegung von gemeinschaftlichen Testamenten auf den Willen allein des Ehegatten abstellen müssen, dessen Verfügung angefochten werden soll. Der andere Ehegatte wird ausreichend durch § 2270 Abs. 1 BGB geschützt.
Rz. 85
Die Anfechtung kann im gemeinschaftlichen Testament auch ausgeschlossen werden. Ferner können die Ehegatten darin bestimmen, dass das Testament beim etwaigen Übergehen von Pflichtteilsberechtigten Bestand haben soll.
Rz. 86
Wird die anfechtbare Verfügung von dem anfechtungsberechtigten Ehegatten bestätigt, dann geht das Anfechtungsrecht insoweit verloren (§§ 144, 2284 BGB). Eine solche Bestätigung kann auch formlos und konkludent erfolgen. Eine Anfechtung ist dem Überlebenden auch dann verwehrt, wenn er die Voraussetzungen der Anfechtung gegen Treu und Glauben oder durch ein gegen die guten Sitten gerichtetes Verhalten selbst herbeigeführt hat.
3. Form und Frist der Anfechtung
Rz. 87
Für die Form und Frist der Anfechtung sind §§ 2282 und 2283 BGB entsprechend anzuwenden. Insbesondere bedarf die Anfechtung der notariellen Beurkundung nach § 2282 Abs. 3 BGB analog. Insofern kann auf die Erläuterungen zu §§ 2282 und 2283 BGB verwiesen werden. Die Anfechtungsfrist beginnt frühestens mit dem Tod des vorverstorbenen Ehegatten.
Rz. 88
Die Anfechtungsfrist beginnt auch zu laufen, wenn der Überlebende an das gemeinschaftliche Testament zeitweise nicht mehr denkt. Anders ist es, wenn der Erblasser das Testament so weit vergessen hat, dass er s...