Dr. Manuel Tanck, Jaane Kind
Rz. 5
Das Gesetz verlangt, dass der Erblasser die Absicht hatte, den Vertragserben zu beeinträchtigen. Die frühere Rspr. verlangte daher, dass für den Erblasser bei der Schenkung die Minderung der Erwerbsaussichten des Vertragserben im Vordergrund gestanden haben muss. Abgesehen davon, dass der Erblasser nur in wenigen Ausnahmefällen ein solches Ziel verfolgen wird, wurde der Vertragserbe vor große Beweisschwierigkeiten gestellt. Der BGH gab daher seine Rspr. zur Beeinträchtigungsabsicht auf und stellt nun darauf ab, ob der Erblasser ein anerkennenswertes Eigeninteresse an der Zuwendung hatte. Zur Feststellung, ob ein lebzeitiges Interesse bestand oder der Erblasser seine Verfügungsfreiheit missbraucht hat, sind alle Umstände gegeneinander abzuwägen; es kommen wirtschaftliche, aber auch ideelle Motive in Betracht.
1. Lebzeitiges Eigeninteresse
Rz. 6
Ein lebzeitiges Eigeninteresse ist dann zu bejahen, wenn die Gründe, die den Erblasser zu der Schenkung bewegt haben, so beschaffen sind, dass der Vertragserbe sie anerkennen und deshalb die sich aus der Verfügung ergebende Benachteiligung hinnehmen muss. Dies gilt bspw. für Schenkungen, die der Erblasser ausführt, um sich die Pflege bzw. Betreuung durch den Beschenkten zu sichern. Für die Anerkennung eines lebzeitigen Eigeninteresses ist nicht Voraussetzung, dass der maßgebliche Umstand sich erst nach dem Abschluss des Erbvertrages ergeben hat; notwendig ist aber, dass sich die Sachlage seit Vertragsschluss geändert hat. Ein Sinneswandel reicht hierfür nicht, ebenso wenig eine nachträgliche Korrektur der erbvertraglichen Regelung zugunsten einer nunmehr genehmeren Person. Gleiches gilt für den Wunsch, Abkömmlinge gleichzustellen, oder für einen Sinneswandel aufgrund unerwarteten Vermögenszuwachses. Ebenfalls nicht ausreichend ist es, wenn der Erblasser durch seine Schenkung seiner Zuneigung zum Beschenkten Ausdruck verleihen möchte. Der BGH legt in diesem Zusammenhang Wert darauf, dass sich die subjektiven Motive des Erblassers aufgrund objektiver Kriterien nachvollziehen lassen müssen.
2. Pflicht- und Anstandsschenkung
Rz. 7
Die Pflicht- und Anstandsschenkung ist bereits gesetzlich normiert, § 534 BGB. Sie erfolgt aufgrund einer sittlichen Pflicht, z.B. Unterstützung bedürftiger naher Verwandter, oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht, z.B. Hochzeitsgeschenk. Die Geschenke müssen dabei in einem angemessenen Verhältnis zu der wirtschaftlichen Lage des Schenkers stehen.
3. Schenkungen zu ideellen Zwecken
Rz. 8
Ob bei Schenkungen zu ideellen Zwecken oder persönlichen Rücksichten ein Missbrauch angenommen werden kann, ist eine Frage des Einzelfalls. Dagegen spricht, wenn der Erblasser schon früher Schenkungen zu mildtätigen Zwecken vorgenommen hat bzw. in einer akuten Notlage angemessen hilft – dafür könnte sprechen, wenn er bei der Schenkung auf den Stamm seines Vermögens zugreift und diese nicht lediglich aus den Erträgen entnimmt.
4. Schenkungen zu materiellen Zwecken
Rz. 9
Sie sollen den Beschenkten zu einem bestimmten Verhalten veranlassen, z.B. Betreuung und Pflege – auch durch die jüngere Ehefrau –, Versorgung für sich oder die Ehefrau bei Krankheit oder Alter, es sei denn, die Altersversorgung war schon sichergestellt, ferner als Dank für besondere Hilfe, insbesondere erbrachte Pflegeleistungen. Dabei ist jedoch stets zu prüfen, ob die Schenkung nicht als Entgelt für das bestimmte Verhalten angesehen werden kann, dann ist § 2287 BGB schon nicht einschlägig.
5. Schwere Verfehlungen des Vertragserben
Rz. 10
Bei Schenkungen des Erblassers als Reaktion auf schwere Verfehlungen des Vertragserben ist die Beeinträchtigungsabsicht offensichtlich und daher ein billiges Eigeninteresse des Erblassers zu verneinen. Der Erblasser hat die Möglichkeit, nach § 2294 BGB (Rücktritt bei Verfehlungen des Bedachten) vom Erbvertrag zurückzutreten.