Dr. Manuel Tanck, Jaane Kind
I. Verpflichtung des Bedachten
Rz. 2
Die Verpflichtung des Bedachten muss darin bestehen, für die Lebenszeit des Erblassers wiederkehrende Leistungen zu erbringen; sie müssen zwar nicht regelmäßig erfolgen, dürfen aber zeitlich nicht befristet sein. Die Bestimmung sieht des Weiteren vor, dass die Verpflichtung eine rechtsgeschäftliche sein muss; es reicht daher nicht, dass der Bedachte gesetzlich verpflichtet ist, Unterhalt an den Erblasser zu leisten.
II. Zusammenhang
Rz. 3
Die vertragsmäßigen Verfügungen zugunsten des Bedachten müssen "mit Rücksicht" auf seine schuldrechtliche Verpflichtung getroffen worden sein, das bedeutet, dass zwischen beiden ein Zusammenhang bestehen muss: Der Erblasser trifft die vertragsmäßige Verfügungen, weil der Bedachte sich verpflichtet hat, eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung i.S.d. § 2295 BGB zu übernehmen. Diesen Zusammenhang muss der Bedachte auch kennen. Grundsätzlich stehen aber beide Verträge rechtlich selbstständig nebeneinander; sie müssen daher nicht in einer Urkunde zusammengefasst sein, insbesondere stehen sie nicht im Verhältnis von Leistung und Gegenleistung zueinander; §§ 320 ff. BGB sind insoweit nicht anwendbar. Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass sich auch der Erblasser in der schuldrechtlichen Vereinbarung seinerseits zu einer Leistung verpflichtet hat; auf diesen gegenseitigen Vertrag sind die §§ 320 ff. BGB anwendbar; der Erblasser kann daher zunächst gem. § 346 BGB von dem schuldrechtlichen Vertrag zurücktreten; anschließend kann er dann – aufgrund der Aufhebung dieses schuldrechtlichen Vertrages – den Rücktritt vom Erbvertrag gem. § 2295 BGB erklären.
III. Aufhebung der Verpflichtung
Rz. 4
Die Verpflichtung muss vor dem Tod des Erblassers aufgehoben worden sein; darunter fällt aber nicht nur die vertragliche Vereinbarung über die Aufhebung zwischen dem Erblasser und dem Bedachten, sondern auch der nachträgliche Wegfall, unabhängig vom Rechtsgrund, z.B. dadurch, dass die Leistung nachträglich unmöglich geworden ist (§ 275 BGB) oder der Bedachte von der Vereinbarung zurückgetreten ist (§ 346 BGB) oder aus einem wichtigen Grund gekündigt hat oder weil die Vereinbarung (einvernehmlich) aufgehoben wurde. Ist die (schuldrechtliche) Verpflichtung nichtig, z.B. aufgrund einer Anfechtung (§ 142 Abs. 1 BGB), dann ist § 2295 BGB nach dem Zweck der Vorschrift daher gleichwohl anwendbar. Dagegen führen Nichterfüllung oder Verzug nicht dazu, dass die Leistungspflicht beseitigt wird, die Verpflichtung wird nicht "aufgehoben" und der Erblasser daher auch nicht zum Rücktritt berechtigt. Für diese Fälle kann sich der Erblasser aber den Rücktritt vorbehalten (vgl. die Ausführungen zu § 2293 BGB) oder – auch stillschweigend – eine auflösende Bedingung vereinbaren, die die vertragsmäßige Verfügung z.B. bei Nichterfüllung automatisch aufhebt. Möglich ist auch eine Anfechtung des Erblassers nach §§ 2078, 2281 BGB.
IV. Ausübung des Rücktritts
Rz. 5
§ 2295 BGB sieht das Rücktrittsrecht nur für den Erblasser vor; die Rücktrittserklärung bedarf nach § 2296 Abs. 2 BGB der notariellen Beurkundung. Ein formnichtiger Aufhebungsvertrag, der sich daraus ergibt, dass nicht beide Vertragsschließenden gleichzeitig, sondern zunächst nur der Erblasser allein die Aufhebung des Erbvertrages vor dem Notar erklärt, kann in eine Rücktrittserklärung nach § 2295 BGB umgedeutet werden. Die Rücktrittserklärung muss den Rücktrittsgrund nicht enthalten; sie kann auch der Aufhebung zeitlich vorgehen; entscheidend ist, dass der Rücktritt im Hinblick auf die Aufhebung der Leistungspflicht erfolgte, mithin diese Beweggrund für den Rücktritt war. Haben die Vertragsschließenden (stillschweigend) die Wirksamkeit des Erbvertrages davon abhängig gemacht, dass die rechtsgeschäftliche Verpflichtung besteht (§ 158 Abs. 2 BGB), dann wird der Erbvertrag automatisch unwirksam, wenn die rechtsgeschäftliche Verpflichtung aufgehoben wird; eines Rücktritts bedarf es dann nicht mehr.