Rz. 37
Wird der Ehegatte aufgrund Enterbung oder Ausschlagung weder Erbe noch Vermächtnisnehmer, bestimmt sich sein Pflichtteil nach der nicht erhöhten Erbquote, §§ 1371 Abs. 2, 1931 BGB. Neben Erben erster Ordnung hat der Ehegatte dann einen Pflichtteil von ⅛. Zu beachten ist, dass sich in einem solchen Fall auch der Pflichtteil anderer Pflichtteilsberechtigter erhöhen kann (§ 1371 Abs. 2 S. 2 BGB). Wird der Ehegatte dagegen Allein- oder Miterbe, bemessen sich die Pflichtteilsquoten der anderen Pflichtteilsberechtigten nach dem erhöhten Erbteil des Ehegatten. Der Zugewinn-Ehegatte hat auch stets die Möglichkeit, durch eine "taktische Ausschlagung" in die Position des Pflichtteilsberechtigten zu gelangen. § 1371 Abs. 3 BGB eröffnet dem überlebenden Ehegatten, gleichgültig, ob er gesetzlicher Erbe, gewillkürter Erbe oder Vermächtnisnehmer (ges. Vermächtnisse, §§ 1932, 1969 BGB, sind insoweit aber unbeachtlich) wird, nämlich immer die Wahlmöglichkeit, entweder
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die ihm zugewandte Erbschaft bzw. das Vermächtnis anzunehmen (erbrechtliche Lösung), oder |
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die Erbschaft bzw. das Vermächtnis auszuschlagen, um stattdessen den güterrechtlichen Zugewinnausgleich nebst Pflichtteil, errechnet aus der nicht erhöhten Erbquote (kleiner Pflichtteil), zu fordern (güterrechtliche Lösung). |
Rz. 38
Wenn der Ehegatte sowohl mit einem Erbteil als auch mit einem Vermächtnis bedacht wurde, muss er beides ausschlagen, um ggf. die Vorteile der güterrechtlichen Lösung nutzen zu können. Bei der güterrechtlichen Lösung ist für die Berechnung des kleinen Pflichtteils zu beachten, dass der konkrete Zugewinnausgleichsanspruch eine Nachlassverbindlichkeit darstellt und der Pflichtteil sich somit nur vom Restwert des Nachlasses errechnet. Ist der Ehegatte enterbt und ist ihm auch kein Vermächtnis zugewandt, kann er neben dem konkret errechneten Zugewinnausgleich den kleinen Pflichtteil verlangen. Dass der Pflichtteil sich aus der nicht erhöhten Erbquote errechnet, ergibt sich in dieser Konstellation unmittelbar aus der Vorschrift des § 1371 Hs. 2 BGB. Eine Wahlmöglichkeit dahingehend, den großen Pflichtteil aus der nach § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten Erbquote zu verlangen, besteht nicht. Durch eine solche Wahlmöglichkeit würde die Testierfreiheit des Erblassers ohne gesetzliche Grundlage zu sehr eingeschränkt.
Rz. 39
Der große Pflichtteil kann daher nur in folgenden Fällen verlangt werden:
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als Zusatzpflichtteil gem. § 2305 BGB, soweit der Ehegatte auf eine Erbquote eingesetzt ist, die unter seinem Pflichtteil liegt, oder |
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als Pflichtteilsrestanspruch gem. § 2307 BGB, soweit der Ehegatte lediglich mit einem Vermächtnis bedacht wurde, dessen Wert ebenfalls unter dem Pflichtteil liegt. |
In diesen Fällen ist bei der Bestimmung der Pflichtteilsquote des Ehegatten jeweils von dem um ¼ erhöhten Erbteil auszugehen, da eine konkrete Zugewinnausgleichsberechnung mangels der tatsächlichen Geltendmachung des Zugewinnausgleichsanspruchs entfällt. Würde in diesen Fällen der Pflichtteil aus der nicht erhöhten Erbquote ermittelt, könnte der Ehegatte nur den kleinen Pflichtteil verlangen, der Zugewinnausgleich würde dann bei der Auflösung einer im gesetzlichen Güterstand geführten Ehe durch Tod gänzlich unberücksichtigt bleiben. Festzuhalten ist daher: Ein Zugewinnausgleich hat bei Auflösung der Ehe durch Tod eines Ehegatten in jedem Fall zu erfolgen, sei es pauschal oder konkret. Hierbei hat der überlebende Ehegatte gem. § 1371 Abs. 3 BGB die freie Wahl.