Rz. 56
Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt nur der geltend gemachte Pflichtteilsanspruch der Erbschaftsteuer. Durch diese gesetzliche Regelung wird der Zeitpunkt der Steuerentstehung hinausgeschoben, was in erster Linie dem Schutz des Pflichtteilsberechtigten dient. Er soll davor bewahrt werden, dass für ihn auch dann Erbschaftsteuer anfällt, wenn er seinen Anspruch zunächst – oder gar dauerhaft – nicht erhebt. Korrespondierend zur Erbschaftsteuerpflicht des geltend gemachten Pflichtteils besteht für den pflichtteilsbelasteten Erben die Möglichkeit, diese Belastung i.R.d. Ermittlung seines steuerpflichtigen Erwerbs wertmindernd in Ansatz zu bringen, § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG. Umfasst der steuerpflichtige Erwerb des Erben auch begünstigtes bzw. teilweise steuerbefreites Vermögen, bspw. nach § 13a ErbStG teilweise steuerbefreite Kapitalgesellschaftsanteile oder Betriebsvermögen, kann die Pflichtteilslast nur teilweise steuermindernd geltend gemacht werden. Gem. § 10 Abs. 6 S. 5 ErbStG hat eine anteilige Kürzung zu erfolgen, die sich am Verhältnis der Verkehrswerte des begünstigten/steuerbefreiten Vermögens zum Gesamtwert der Erbschaft orientiert. Unter Geltendmachung versteht die Finanzgerichtsbarkeit seit jeher das ernstliche Verlangen auf Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs. Der Berechtigte muss seinen entsprechenden Entschluss in "geeigneter Weise bekunden". Dies kann auch mündlich oder durch schlüssiges Verhalten geschehen, die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zur Durchsetzung des Anspruchs ist nicht erforderlich. Der Anspruch braucht auch nicht beziffert zu werden. Eine Geltendmachung kann auch darin zu sehen sein, dass der Erbe die Auszahlung des Pflichtteils anbietet und der Berechtigte dieses Angebot annimmt. Dasselbe gilt, wenn der Berechtigte den Pflichtteilsanspruch stundet oder zunächst nur eine Teilzahlung begehrt, sich dabei aber vorbehält, auch die Restzahlung noch zu verlangen, ebenso wenn der Berechtigte Handlungen zur Sicherung der Erfüllung seines Pflichtteilsanspruchs vornimmt. Insoweit ist klarstellend festzuhalten, dass die zinslose Stundung eines (noch) nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs für sich keine steuerpflichtige Schenkung darstellt. Inwieweit auch die bloße Abtretung des Pflichtteilsanspruchs bereits als Geltendmachung zu werten ist, ist nicht abschließend geklärt.
Rz. 57
Soweit die Begleichung des Pflichtteilsanspruchs durch die Übertragung eines Grundstücks erfolgt, kann hierin, sofern es sich bei diesem Grundstück entweder um Betriebsvermögen handelt oder die Spekulationsfrist des § 23 EStG noch nicht abgelaufen ist, ein entgeltlicher Veräußerungsvorgang gesehen werden, der beim verpflichteten Erben zur Aufdeckung etwaiger stiller Reserven führt. Werden zwischen dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten monatliche Zahlungen vereinbart, kann es sich hierbei um eine nach § 22 Nr. 1 S. 2 EStG nicht steuerbare Unterhaltsrente handeln.
Rz. 58
Der Pflichtteilsanspruch stellt aus der Sicht des Erben grundsätzlich eine erbschaftsteuerlich relevante Nachlassverbindlichkeit dar. Voraussetzung ist prinzipiell, dass der Anspruch auch ernsthaft geltend gemacht wird (und nicht auf die Geltendmachung verzichtet wird). Dessen ungeachtet ist aber auch eine Geltendmachung nach dem Tod des (zunächst) überlebenden und aufgrund Berliner Testaments allein erbenden Ehegatten möglich, wenn der Pflichtteilsanspruch bei Eintritt dieses (zweiten) Erbfalls noch nicht verjährt ist. Dies gilt selbst dann, wenn der Pflichtteilsberechtigte Alleinerbe des Pflichtteilsschuldners ist und daher der Anspruch mit dem (zweiten) Erbfall durch Konfusion erlischt.