Gesetzestext
(1)1Ist ein Abkömmling des Erblassers durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen, so kann er von dem Erben den Pflichtteil verlangen. 2Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils.
(2)1Das gleiche Recht steht den Eltern und dem Ehegatten des Erblassers zu, wenn sie durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen sind. 2Die Vorschrift des § 1371 bleibt unberührt.
A. Allgemeines
Rz. 1
Aufgrund seiner Testierfreiheit hat der Erblasser die Möglichkeit, auch seine nächsten Angehörigen zu enterben. Wirtschaftlich wird die Testierfreiheit durch die §§ 2303 ff. BGB für den dort definierten Personenkreis durch die Gewährung eines Pflichtteilsanspruchs eingeschränkt. Der Aufnahme eines solchen Pflichtteilsrechts durch den Gesetzgeber lag der Gedanke zugrunde, dass den Erblasser eine über seinen Tod hinausgehende Sorgfaltspflicht gegenüber seinen nächsten Angehörigen treffe. Das Pflichtteilsrecht gewährleistet diesen eine Mindestteilhabe am Nachlass, allerdings nicht in der Form eines echten Noterbrechts (mit dinglicher Beteiligung), sondern in Form eines reinen Geldanspruchs. Entsprechend den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts ist die Mindestbeteiligung der Kinder bzw. Eltern bedarfsunabhängig und steht als tragendes Strukturprinzip unter dem verfassungsrechtlichen Schutz der Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG.
Vor diesem Hintergrund steht dem Pflichtteilsberechtigten auch im Verhältnis gegenüber Dritten, z.B. seinen Angehörigen, grundsätzlich ein freies Entscheidungsrecht zu, ob er seine Ansprüche geltend machen möchte oder nicht. Insbesondere stellt das Einfordern rechtsfehlerfrei festgestellter Pflichtteilsansprüche grundsätzlich keinen die Annahme einer feindlichen Gesinnung rechtfertigenden Grund für einen Schenkungswiderruf wegen groben Undanks (§ 530 BGB) dar. Auf der anderen Seite bildet der Verzicht auf die Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs während der insolvenzrechtlichen Wohlverhaltensphase keine Obliegenheitsverletzung. Auch wenn der Pflichtteilsanspruch mit dem Erbfall entsteht (§§ 2317 Abs. 1, 1922 Abs. 1 BGB) und von diesem Zeitpunkt an zum Vermögen des Pflichtteilsberechtigten gehört, ist der Anspruch nach § 852 Abs. 1 ZPO nur pfändbar, wenn er entweder durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist. Dennoch geht der BGH davon aus, dass die Entscheidung über die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen (ebenso wie die Entscheidung über die Ausschlagung) einen so höchstpersönlichen Charakter aufweist, dass eine Verpflichtung zur Pflichtteilsgeltendmachung auch für einen insolventen Pflichtteilsgläubiger nicht bestehen kann. Nichtsdestotrotz hat der Gesetzgeber mit § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII eine spezialgesetzliche Sonderregelung geschaffen, die § 852 Abs. 1 ZPO verdrängt und es dem Träger der Sozialhilfe ermöglicht, Pflichtteilsansprüche – bereits vor Geltendmachung – auf sich überzuleiten. Der Sozialhilfeträger ist auch nicht daran gehindert, gegen den Willen des Pflichtteilsberechtigten dessen Ansprüche geltend zu machen. Einschränkungen bestehen hier aber dann, wenn mit der Geltendmachung aufgrund einer Pflichtteilsstrafklausel (z.B. in einem gemeinschaftlichen Testament) der Verlust eines späteren testamentarischen Erbteils verbunden ist.
B. Tatbestand
I. Allgemeines (Tatbestandsmerkmale)
Rz. 2
Voraussetzung für das Bestehen eines ordentlichen Pflichtteilsanspruchs ist, dass der Anspruchsteller zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen gehört und durch Verfügung des Erblassers von der Erbfolge ausgeschlossen wurde.
Mit dem Eintritt des Erbfalls wandelt sich unter diesen Voraussetzungen die bereits zu Lebzeiten des Erblassers bestehende abstrakte Pflichtteilsberechtigung in einen konkreten und bezifferbaren Geldanspruch, den Pflichtteilsanspruch.
II. Pflichtteilsberechtigte Personen
1. Kreis der Pflichtteilsberechtigten
Rz. 3
Zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen zählen die Abkömmlinge des Erblassers (Abs. 1) sowie seine Eltern und sein Ehegatte (Abs. 2). Für Erbfälle seit dem 1.8.2001 ist auch der eingetragene Lebenspartner einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft pflichtteilsrechtlich einem Ehegatten gleichgestellt. Für die Bestimmung des jeweiligen Verwandtschaftsverhältnisses sind ebenso wie bei der gesetzlichen Erbfolge die familienrechtlichen Regelungen maßgeblich.
Nicht pflichtteilsberechtigt sind sämtliche Verwandte, die in § 2303 BGB nicht ausdrücklich genannt si...