Rz. 39
Liegt eine Erbeinsetzung nach Bruchteilen nicht vor, bspw. weil der Erblasser sein (mehr oder weniger) ganzes Vermögen gegenständlich zugewiesen hat – also entgegen § 2087 Abs. 2 BGB –, muss die Erbquote zunächst durch einen Vergleich der jeweils zugewandten Gegenstände mit dem Wert des Gesamtnachlasses ermittelt werden. Diese Vorgehensweise ist dann auch i.R.d. § 2306 BGB maßgeblich. Gleiches gilt, wenn dem Pflichtteilsberechtigten neben seinem Erbteil auch ein Vermächtnis zugewendet wurde, da ein automatischer Wegfall der Belastungen gem. Abs. 1 S. 1 a.F. nur in Betracht kommt, wenn die Summe aus den Werten von Erbteil und Vermächtnis den sich rechnerisch ergebenden Pflichtteil nicht übersteigt.
Rz. 40
Auch bei lebzeitigen Vorempfängen, insbesondere bei ausgleichungs- oder anrechnungspflichtigen Zuwendungen, stößt die Quotentheorie an ihre Grenzen. Denn unter Berücksichtigung der Vorempfänge stellt die Quote nicht mehr den zutreffenden Maßstab für den gesetzlichen Erbteil und somit den in der Hälfte dessen Wertes bestehenden Pflichtteil dar. Wie diesem Problem zu begegnen ist, ist in der Lit. heftig umstritten. Die inzwischen wohl überholte, früher in der Rspr. h.M. ging von der reinen Quotentheorie aus, was den Vorteil hatte, die Situation des Betroffenen rasch und auf einfachem Wege klären zu können. Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sprechen ebenso wie der Wortlaut des Gesetzes (Abs. 1 spricht lediglich von der Hälfte des gesetzlichen Erbteils, nicht – wie § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB – von der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils) für diese Theorie.
Rz. 41
Teilweise wird die Quotentheorie um eine Wertanrechnungspflicht erweitert. Das bedeutet, dass sich der Pflichtteilsberechtigte auf den nach Abs. 1 S. 1 a.F. von allen Belastungen befreiten Erbteil den Betrag anrechnen lassen muss, um den der Wert dieses Erbteils den sich unter Berücksichtigung von Anrechnungs- und Ausgleichungsverpflichtungen ergebenden (Wert-)Erbteil übersteigt. Diese Methode ermöglicht zwar – ebenso wie die reine Quotentheorie – eine relativ einfache Abgrenzung, wann der Berechtigte die Erbschaft ausschlagen sollte und wann nicht. Andererseits führen die Quotentheorien aber im Ergebnis dazu, dass beschränkende Anordnungen des Erblassers, die unter Berücksichtigung von Anrechnungs- und Ausgleichungsverpflichtungen durchaus Bestand haben könnten, per se hinfällig werden. Die von Marotzke geforderte Anrechnung verschärft dieses Problem noch, da die vom Erblasser bewusst vorgenommene Erbeinsetzung auf eine bestimmte Quote durch die Anrechnung (jedenfalls bei wirtschaftlicher Betrachtung) konterkariert werden kann. Die Quotentheorien sind daher nicht in der Lage, die Probleme im Zusammenhang mit lebzeitigen Vorempfängen befriedigend zu lösen.
Rz. 42
Nach zutreffender für das alte Recht h.M. sind Fälle, bei denen Anrechnungs- und Ausgleichungspflichten berücksichtigt werden müssen, mit Hilfe der Werttheorie zu lösen. Nach der Werttheorie sind Vorempfänge und die daraus resultierenden Anrechnungs- und Ausgleichungspflichten dadurch zu berücksichtigen, dass anstatt der Quote die Werte für die Anwendung des Abs. 1 a.F. entscheidend sein sollen. Die Erb- bzw. Pflichtteilsquoten werden also in Geldwerte umgerechnet, die sodann entsprechend den Anrechnungs- und Ausgleichungserfordernissen (ebenfalls in Geldwerten) erhöht oder vermindert werden können. Auf diese Weise ergeben sich "Werterbteile" und "Wertpflichtteile". Entscheidend ist nun also das "Quantum", nicht die Quote. Vereinzelt wurde auch vertreten, die Werttheorie könne nur dann angewendet werden, wenn der Pflichtteilsberechtigte selbst zur Anrechnung oder Ausgleichung verpflichtet sei. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass der Pflichtteilsberechtigte infolge der Berücksichtigung von Vorempfängen anderer Personen im Ergebnis einen unbelasteten Erbteil, Abs. 1 S. 1, erhalten kann. Nach dieser – die Werttheorie einschränkenden – Ansicht sollen sich dann anrechnungs- und ausgleichungspflichtige Vorempfänge aber nur zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten auswirken können. Diese Sichtweise widerspricht aber der Vorschrift das § 2316 BGB, der zufolge die Ausgleichung zwingend zu einer Erhöhung von Erb- und Pflichtteil der anderen – selbst nicht zur Ausgleichung verpflichteten – Abkömmlinge führt.
Rz. 43
Die Werttheorie ist i.R.d. § 2306 BGB a.F. aber ausschließlich auf anrechnungs- oder ausgleichungspflichtige Vorempfänge anzuwenden. Eine Ausdehnung auf weitere Fälle, wie bspw. die Anordnung eines den Nachlass aushöhlenden Vermächtnisses oder pflichtteilsergänzungsrelevante lebzeitige Zuwendungen – ohne Anrechnungs- oder Ausgleichungspflicht – kommt nicht in Betracht. Hierfür besteht auch keine Notwendigkeit, da diese Konstellationen unter Anwendung der Quotentheorie zufriedenstellend gelöst werden können.