Rz. 31
Grundsätzlich richtet sich die Ausschlagungsfrist nach § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB. Ihr Beginn erfordert demnach die Kenntnis vom Erbfall sowie die Kenntnis vom Berufungsgrund. Dies wird jedoch der Situation des pflichtteilsberechtigten Erben in Fällen des Abs. 1 regelmäßig nicht gerecht, da es für seine Entscheidung insbesondere auf die Kenntnis der zu seinen Lasten angeordneten Beschränkungen und Beschwerungen ankommt. Aus diesem Grund erweitert Abs. 1 Hs. 2 die allgemeinen Voraussetzungen für den Beginn der Ausschlagungsfrist und fordert zusätzlich zu diesen, dass der Pflichtteilsberechtigte "von der Beschränkung oder der Beschwerung Kenntnis erlangt" hat. Kenntnis von den Beschränkungen bzw. Beschwerungen bedeutet dabei lediglich das Bewusstsein über deren rechtliche Existenz, nicht etwa über ihre wirtschaftlichen Auswirkungen (vgl. hierzu Rdn 34). Die Kenntniserlangung setzt nach OLG München – soweit es um letztwillige Verfügungen bzw. deren Inhalt geht – eine Verkündung an den betroffenen Pflichtteilsberechtigten in seiner Funktion als Verfahrensbeteiligten (z.B. eines Erbscheinsverfahrens) voraus. Erlangt der Pflichtteilsberechtigte lediglich als gesetzlicher Vertreter eines Verfahrensbeteiligten Kenntnis, soll dies für den Beginn der ihn selbst betreffenden Ausschlagungsfrist nicht ausreichen. Bei einem im Güterstand der Zugewinngemeinschaft lebenden Erblasser ist im Übrigen der Erbteil von Abkömmlingen bzw. Eltern so lange nicht bekannt, wie der überlebende Ehegatte noch keine Entscheidung getroffen hat, ob er die Erbschaft annehmen oder ausschlagen wird.
Rz. 32
Im Falle der Geschäftsunfähigkeit des Pflichtteilsberechtigten ist die Kenntnis des gesetzlichen Vertreters entscheidend, bei unter Betreuung Stehenden die des Betreuers. Im Falle eines Irrtums über das Bestehen oder die Wirksamkeit angeordneter Beschränkungen oder Beschwerungen ist wie folgt zu unterscheiden: Geht der Pflichtteilsberechtigte irrig davon aus, dass Beschränkungen oder Beschwerungen zu seinen Lasten nicht angeordnet seien, so bewirkt Abs. 1 Hs. 2, dass die Ausschlagungsfrist nicht vor Aufklärung des Irrtums zu laufen beginnt. Nimmt der Pflichtteilsberechtigte irrig an, zu seinen Lasten bestünden Beschränkungen oder Beschwerungen, so hat dies auf den Lauf der Ausschlagungsfrist keinen Einfluss. Hält der Pflichtteilsberechtigte die relevante Verfügung von Todes wegen insgesamt für nichtig, beginnt die Ausschlagungsfrist bereits im Hinblick auf § 1944 Abs. 2 S. 1 BGB nicht zu laufen.
Rz. 33
Für solche Fälle, in denen der dem Pflichtteilsberechtigten hinterlassene Erbteil unter Berücksichtigung ausgleichungs- und anrechnungspflichtiger lebzeitiger Zuwendungen zu ermitteln ist, gestand die Rspr. zu Abs. 1 a.F. dem Pflichtteilsberechtigten die Möglichkeit zu, sich vor seiner Ausschlagungsentscheidung Kenntnis über den Wert dieser Vorempfänge zu verschaffen, um eine entsprechende Berechnung vornehmen zu können. Erst nach Kenntnis der insoweit relevanten Tatsachen sollte die Ausschlagungsfrist zu laufen beginnen. Ob an dieser Sichtweise auch nach der Erbrechtsreform noch festzuhalten ist, wird uneinheitlich beurteilt. Während Teile der Lit. meinen, der geschilderten Rspr. sei der Boden dadurch entzogen worden, dass der Pflichtteilsberechtigte ohne Rücksicht auf die Höhe seines Erbteils ausschlagen könne, warnen andere vor der Konsequenz, dass die Ausschlagungsfrist dann regelmäßig mit der Kenntnis des Inhalts des Testaments beginnen würde. Gerade bei komplex zusammengesetzten Nachlässen bestünde kaum die Möglichkeit, innerhalb der Ausschlagungsfrist eine sinnvolle Wertermittlung vorzunehmen, um auf dieser Basis über Sinn bzw. Unsinn einer Ausschlagung zu entscheiden. Dies gilt insbesondere auch in Fällen, in denen der Pflichtteilsberechtigte – z.B. im Hinblick auf fehlenden persönlichen Kontakt zum Erblasser – keinerlei Kenntnisse von den Vermögensverhältnissen des Erblassers hat.
Rz. 34
Ob der Gesetzgeber tatsächlich bei der Beibehaltung des Wortlauts von Abs. 1 Hs. 2 die vorerwähnte Rspr. ins Kalkül gezogen und deren Verständnis auch im Hinblick auf Erbfälle ab dem 1.1.2010 berücksichtigt sehen wollte, ist zweifelhaft. Klar ist aber, dass der Gesetzgeber eine weitgehende Gleichbehandlung von belasteten Erbteilen und Vermächtnissen (§ 2307 BGB) anstrebte: Vor diesem Hintergrund wäre – allerdings de lege ferenda – der spätere Beginn der Ausschlagungsfrist die vorzuziehende Lösung. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes reichen aber Kenntnis von Erbfall und Berufungsgrund sowie von Beschränkungen oder Beschwerungen aus. Auf die Wertverhältnisse und die konkreten wirtschaftlichen Folgen der letztwilligen Anordnungen kommt es hingegen nicht an. In diesem Zusammenhang darf auch nicht übersehen werden, dass die zitierte Rspr. zum Beginn der Ausschlagungsfrist ihren Ausgangspunkt nicht etwa bei der Frage des wirtschaftlichen Werts von Beschränk...