Rz. 54
Die in Abs. 1 gesetzlich vorgesehene Wahlpflicht kann Seitens des Erblassers durch eine Verwirkungsklausel (z.B. dergestalt, dass Pflichtteilsberechtigter unter der auflösenden Bedingung, den Anordnungen des Erblassers nicht zuwider zu handeln, zum Erben berufen wird) ergänzt werden. Dies hat zur Folge, dass der Pflichtteilsberechtigte nicht nur durch Ausschlagung, sondern auch durch ein entsprechendes Verhalten zum Pflichtteilsanspruch überwechseln kann. Da eine Verwirkungsklausel aus der Sicht des Pflichtteilsberechtigten keine Schmälerung seiner Rechte darstellt, ist sie prinzipiell mit dem Gesetz vereinbar. Grundsätzlich verliert der Pflichtteilsberechtigte durch den Eintritt der in der Verwirkungsklausel bezeichneten auflösenden Bedingung sein Erbrecht, so dass er auch ohne Ausschlagung seinen Pflichtteil geltend machen kann. Einen Sonderfall bildet insoweit die Situation, dass der Pflichtteilsberechtigte aufgrund des Eingreifens einer Verwirkungsklausel seine Erbenstellung verliert, zwischenzeitlich aber die Frist des § 2332 BGB abgelaufen und der Pflichtteilsanspruch somit verjährt ist. Der Pflichtteilsberechtigte hat in diesem Fall keinerlei Ansprüche. Denn die Verjährungsfrist für den Pflichtteil beginnt mit Erlangung der doppelten Kenntnis (vom Erbfall und beeinträchtigender Verfügung). Der Zeitpunkt des Verlustes der Erbenstellung spielt insoweit keine Rolle. Das "Fristrisiko" liegt allein beim Pflichtteilsberechtigten (vgl. insoweit § 2303 Rdn 46) und trifft somit mittelbar auch seinen Berater, da dieser im Falle einer unzureichenden Aufklärung über diese Gesichtspunkte u.U. zum Schadensersatz verpflichtet sein kann. Dieselbe Problematik ergibt sich auch beim zum Nacherben berufenen Pflichtteilsberechtigten sowie in Fällen, in denen der Pflichtteil erst nach der Ausschlagung eines Vermächtnisses geltend gemacht werden kann.
Rz. 55
Zusätzliche Haftungsprobleme bringt die Notwendigkeit der raschen Entscheidung über eine fristgerechte Ausschlagung mit sich (vgl. Rdn 47 ff.). Es ist daher dringend erforderlich, die genauen Wertverhältnisse in Bezug auf den Nachlass so rasch als möglich umfassend zu ermitteln, um die angesprochene Vorteilhaftigkeitsprüfung (Ausschlagung oder Annahme einschließlich sämtlicher Beschränkungen und Beschwerungen) durchzuführen. Dies erweist sich als umso schwieriger, als der Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB grundsätzlich erst nach der Ausschlagung in Betracht kommt. Im Übrigen sollte der Pflichtteilsberechtigte auf die mit seiner Entscheidung verbundenen Risiken ausdrücklich hingewiesen und darüber umfassend aufgeklärt werden.