1. Allgemeines
Rz. 32
Es sind auch Konstellationen denkbar, in denen dem Pflichtteilsberechtigten neben einem Vermächtnis auch ein belasteter Erbteil i.S.v. § 2306 BGB hinterlassen ist. Die Wechselwirkungen von § 2306 und § 2307 BGB sind gesetzlich nicht geregelt, nichtsdestotrotz sind beide Vorschriften parallel anzuwenden, des Weiteren ist § 2305 BGB (Restpflichtteil) zu beachten.
2. Unbelasteter Erbteil und Vermächtnis
Rz. 33
Wird dem Pflichtteilsberechtigten ein unbeschwerter und unbeschränkter Erbteil hinterlassen, ist § 2306 Abs. 1 BGB nicht anwendbar. Eine Ausschlagung des hinterlassenen Erbteils ermöglicht nicht die Pflichtteilsgeltendmachung. Allenfalls der Pflichtteilsrestanspruch nach § 2305 BGB bleibt dem Ausschlagenden erhalten. Auf den Restpflichtteil ist aber ggf. das nicht ausgeschlagene Vermächtnis wertmäßig anzurechnen. Dies kann durch die Ausschlagung auch des Vermächtnisses vermieden werden. Besteht kein Restpflichtteilsanspruch, weil der dem Pflichtteilsberechtigten hinterlassene Erbteil von vornherein den Wert der Hälfte des gesetzlichen Erbteils übersteigt, ist eine etwaige Vermächtnisausschlagung pflichtteilsrechtlich irrelevant. Sinkt durch die Ausschlagung des Vermächtnisses der Wert des dem Pflichtteilsberechtigten insgesamt Hinterlassenen unter den Wert seines Pflichtteilsanspruchs, steht ihm wegen der Differenz zwischen hinterlassenem Erbteil und Pflichtteilsanspruch der Pflichtteilsrestanspruch i.S.v. § 2305 BGB zu. Denn Abs. 1 S. 1 ermöglicht die Vermächtnisausschlagung zum Zwecke der Pflichtteilsgeltendmachung auch dann, wenn das Vermächtnis mit keinerlei Beschränkungen oder Beschwerungen verbunden ist.
3. Belasteter Erbteil und Vermächtnis
Rz. 34
Ist der dem Pflichtteilsberechtigten hinterlassene Erbteil i.S.v. § 2306 Abs. 1 BGB beschwert oder belastet, kann er sowohl den Erbteil als auch das Vermächtnis ausschlagen, ohne seine Pflichtteilsansprüche zu verlieren. Die Reihenfolge der Ausschlagungen ist ohne Belang. Wird lediglich der Erbteil ausgeschlagen, hat sich der Pflichtteilsberechtigte den Wert des Vermächtnisses nach Abs. 1 S. 2 (ohne Abzug darauf lastender Beschwerungen) anrechnen zu lassen.
4. Rechtslage für Erbfälle vor dem 1.1.2010
Rz. 35
Für Erbfälle vor dem 1.1.2010, die sich also noch nach altem Recht richten, gilt Folgendes:
Ist der hinterlassene, belastete Erbteil geringer oder gleich der Hälfte des gesetzlichen Erbteils, kommt es entscheidend auf den Umfang des zusätzlich hinterlassenen Vermächtnisses an: Wird in Summe der Wert des Pflichtteils überschritten, führt die Annahme des Vermächtnisses zur Anwendung von § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB auf den – zunächst belasteten – Erbteil. Die angeordneten Belastungen bleiben bestehen. Eine Ausschlagung des Erbteils führt zum Pflichtteil, auf den aber das Vermächtnis gem. Abs. 1 anzurechnen ist. Die Ausschlagung des Vermächtnisses bewirkt, dass nach § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB alle angeordneten Belastungen wegfallen und i.H.d. Differenz zwischen hinterlassenem Erbteil und Pflichtteil ein Pflichtteilsrestanspruch gem. § 2305 BGB besteht.
Rz. 36
Sollen beide Zuwendungen ausgeschlagen werden, kommt es entscheidend auf die zeitliche Reihenfolge an. Wird zuerst die Erbschaft ausgeschlagen, ist § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB anwendbar, da das Hinterlassene (noch) die Hälfte des Werts des gesetzlichen Erbteils übersteigt. Der Pflichtteilsberechtigte könnte den vollen Pflichtteil geltend machen. Schlägt er später auch das Vermächtnis aus, ist dessen Wert nicht auf den Pflichtteil anzurechnen. Erfolgten die Ausschlagungen in der umgekehrten Reihenfolge, kommt es durch die Vermächtnisausschlagung zur Anwendung von § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB, also zu einem Wegfall der Beschwerungen mit der Folge, dass eine Ausschlagung des Erbteils auch zum Verlust des Pflichtteils führte. Hier kann höchstens der Pflichtteilsrestanspruch bestehen bleiben. Übersteigen Erbteil und Vermächtnis zusammen den Pflichtteil nicht, ist stets § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB anzuwenden, dem zufolge alle angeordneten Belastungen und Beschränkungen entfallen. Daneben kann auch ein Pflichtteilsrestanspruch nach § 2305 BGB bestehen, auf den aber auch das Vermächtnis gem. Abs. 1 anzurechnen ist, wenn es nicht ausgeschlagen wird. Im Falle der Ausschlagung der Erbschaft besteht nur der Pflichtteilsrestanspruch (allerdings auch gekürzt um den Wert des nicht ausgeschlagenen Vermächtnisses).
Rz. 37
Nur der Zugewinn-Ehegatte oder der überlebende Partner zweier in Ausgleichsgemeinschaft lebender gleichgeschlechtlicher Lebenspartner konnte bereits nach altem Recht ohne Verlust den Pflichtteil ausschlagen.