Rz. 13
Die Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs durch einen entfernteren Abkömmling oder die Eltern des Erblassers ist ausgeschlossen, soweit ein näherer Abkömmling berechtigt ist, den Pflichtteil zu fordern. Dieser Anspruch kann sowohl auf einer Enterbung, § 1938 BGB, als auch auf einer Ausschlagung nach § 2306 Abs. 1 oder § 2307 Abs. 1 S. 1 BGB beruhen. Darauf, ob der nähere Abkömmling seinen Pflichtteilsanspruch tatsächlich geltend macht, kommt es nicht an; die bloße Möglichkeit der Geltendmachung genügt. Andererseits ist es für die Anwendung von § 2309 BGB zwingend erforderlich, dass der Anspruch auch materiell-rechtlich besteht. Wenn ein näherer Abkömmling den Pflichtteil fordert und auch vom Erben erhält, ohne dass ihm dieser Anspruch von Rechts wegen zugestanden hätte, werden die Pflichtteilsrechte der entfernteren Abkömmlinge oder der Eltern hierdurch nicht berührt. Das gilt selbst dann, wenn der nähere Abkömmling gegen den Erben ein rechtskräftiges Urteil erstritten hat. Das auf den vermeintlichen Pflichtteil Geleistete gilt in solchen Fällen auch nicht als "Hinterlassen" i.S.d. Alt. 2, da ansonsten der Erbe über die Pflichtteilsberechtigung entfernterer Abkömmlinge bzw. Eltern entscheiden könnte. Im Einzelfall gilt Folgendes:
Rz. 14
Schlägt der nähere Abkömmling einen unbeschränkten und unbeschwerten Erbteil aus, sind Pflichtteilsansprüche zu seinen Gunsten ausgeschlossen. Soweit entferntere Verwandte an die Stelle des Ausschlagenden treten und Erben werden, gilt für sie dasselbe. Sind aber Ersatzerben benannt, die anstelle des Ausschlagenden erben, können (anstelle des Ausschlagenden) die entfernteren Verwandten Pflichtteilsansprüche geltend machen. Auch in Fällen, in denen die Pflichtteilsgeltendmachung nach Ausschlagung grundsätzlich möglich ist, der nähere Abkömmling aber durch eine wirksame Pflichtteilseinziehung an der Durchsetzung gehindert ist, kommen entferntere Berechtigte zum Zuge. Steht dem Ausschlagenden wegen des geringen Umfangs des ausgeschlagenen Erbteils ein Pflichtteilsrestanspruch nach § 2305 BGB zu, schließt er insoweit die entfernten Verwandten von der Pflichtteilsgeltendmachung aus. Ihre Ansprüche sind entsprechend (unabhängig von der tatsächlichen Geltendmachung des Restanspruchs) zu kürzen. Eine Pflichtteilsberechtigung entfernterer Verwandter bestand für Erbfälle vor dem 1.1.2010 auch, wenn der nähere Abkömmling einen beschränkten und beschwerten Erbteil ausgeschlagen hatte, bei dem gem. § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. die Belastungen von Gesetztes wegen entfielen. Ein dem näher Berechtigten evtl. nach wie vor zustehender Pflichtteilsrestanspruch wurde aber auch hier angerechnet.
Rz. 15
Macht der nähere Abkömmling einen ihm zustehenden Pflichtteilsanspruch nicht geltend, verändert sich hierdurch die Rechtsposition entfernterer Berechtigter nicht. Einen Vorteil hat allein der nicht in Anspruch genommene Erbe. Das gilt auch für einen evtl. bestehenden Pflichtteilsrestanspruch, § 2305 BGB, oder für den Fall, dass der Pflichtteilsanspruch – mit oder ohne den Willen des Berechtigten – verjährt ist oder ihm sonst eine peremptorische Einrede entgegensteht. Ein Pflichtteilsverzicht des näheren Abkömmlings wirkt nach hier vertretener Auffassung (vgl. Rdn 7) auch gegen die entfernteren Abkömmlinge und die Eltern. Dies gilt umso mehr, als durch ihn im Grunde genommen nur die Entscheidung, einen erst später entstehenden Pflichtteilsanspruch nicht geltend zu machen, vorweggenommen wird. Ob der nähere Abkömmling nach dem Erbfall das ihm Hinterlassene – pflichtteilsvernichtend – ausschlägt, spielt dann keine Rolle mehr.