Gesetzestext
Entferntere Abkömmlinge und die Eltern des Erblassers sind insoweit nicht pflichtteilsberechtigt, als ein Abkömmling, der sie im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde, den Pflichtteil verlangen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt.
A. Allgemeines
Rz. 1
Das Wichtigste zuerst: § 2309 BGB ist keine Anspruchsgrundlage! Die Norm begründet keinen zusätzlichen, nach §§ 2303 ff. BGB nicht bestehenden Pflichtteilsanspruch, sondern hat ausschließlich zum Ziel, das Pflichtteilsrecht der Eltern und der entfernteren Abkömmlinge des Erblassers einzuschränken. Er dient also dazu, eine Vervielfältigung des Pflichtteilsanspruchs zu verhindern.
Rz. 2
Schon bald nach Inkrafttreten des BGB wurde § 2309 BGB als "nach Inhalt und Fassung nicht recht gelungen" bezeichnet und sowohl hinsichtlich des Inhalts als auch der Formulierung hart kritisiert Der hier niedergelegte Rechtsgedanke fügt sich jedoch – trotz der berechtigten Kritik – logisch in die Systematik des Pflichtteilsrechts. Denn das deutsche Erbrecht teilt die gesetzlichen Erben in verschiedene Ordnungen ein, wobei Erben der ersten Ordnungen (Abkömmlinge des Erblassers, § 1924 Abs. 1 BGB) die Erben entfernterer Ordnungen (z.B. die Eltern, § 1925 Abs. 1 BGB) stets von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen. Mit dem Erblasser näher verwandte Abkömmlinge schließen gem. § 1924 Abs. 2 BGB die entfernteren Abkömmlinge ebenfalls von der Erbfolge aus (Repräsentationsgrundsatz). Jeder Stamm hat also grundsätzlich nur einen gesetzlichen Erbteil (Stammportion). Daraus folgt, dass jeder Stamm auch nur einmal den Pflichtteil erhalten soll. Soweit der näher mit dem Erblasser verwandte Abkömmling eine seinen Pflichtteil – wenigstens teilweise – ausschließende Zuwendung erhalten hat, kann entfernteren Abkömmlingen oder Erben einer nachrangigen Ordnung daher kein Pflichtteilsanspruch zustehen. Diese beiden Grundsätze folgen aus der einfachen Überlegung, dass bei Vorhandensein eines "vorrangigen" gesetzlichen Erben eine Verfügung des Erblassers den "nachrangigen" gesetzlichen Erben i.d.R. gar nicht belasten kann; er ist grundsätzlich bereits von Gesetzes wegen von der Erbfolge und somit auch vom Pflichtteilsanspruch ausgeschlossen.
Rz. 3
§ 2309 BGB stellt aber klar, dass – soweit diese Grundsätze (ausnahmsweise) keine Gültigkeit haben – auch entferntere Abkömmlinge sowie die Eltern des Erblassers pflichtteilsberechtigt sein können. Die hier in Betracht kommenden Ausnahmetatbestände stellen sich wie folgt dar:
B. Tatbestand und Rechtsfolgen
I. Grundsätzliche Pflichtteilsberechtigung der Eltern und entfernteren Abkömmlinge
Rz. 4
Voraussetzung für das Bestehen eines Pflichtteilsanspruchs nach § 2303 BGB ist grundsätzlich, dass es sich bei dem Anspruchsteller um einen Abkömmling, Ehegatten/Lebenspartner oder die Eltern des Erblassers handelt. Ist diese Voraussetzung nicht – in der einen oder anderen Form – erfüllt, ist § 2309 von vornherein nicht anwendbar. Entfernter verwandte Abkömmlinge und die Eltern des Erblassers werden aber im Regelfall durch näher verwandte Abkömmlinge von der gesetzlichen Erbfolge und somit auch vom Pflichtteilsrecht ausgeschlossen. Ausnahmen von dieser Regel bilden die Fälle, in denen der nähere Abkömmling erbunwürdig ist, § 2344 BGB, auf sein Erbrecht verzichtet, § 2346 BGB, oder das ihm Hinterlassene (unter Verlust des Pflichtteilsrechts) ausgeschlagen hat (also außerhalb des Anwendungsbereichs von §§ 2306, 2307 BGB). Gleiches kann im Fall der Enterbung gelten, allerdings nur, wenn der enterbte nähere Abkömmling pflichtteilsunwürdig war, ihm der Pflichtteil wirksam entzogen wurde oder er wirksam auf seinen Pflichtteil verzichtet hatte. Denn nach der ersten Alternative des § 2309 BGB schließt der nähere Abkömmling, der selbst den Pflichtteil verlangen kann, alle ferner verwandten Abkömmlinge aus.