Rz. 10
Gem. S. 2 wird bei der Pflichtteilsberechnung nicht mitgezählt, wer auf seinen Erbteil verzichtet hat. Ob der Verzichtende eine Abfindung erhalten hat, spielt keine Rolle. S. 2 geht grundsätzlich davon aus, dass der Erbverzicht sich gem. der Auslegungsregel des § 2349 BGB regelmäßig auch auf die Abkömmlinge des Verzichtenden erstreckt. Denn wenn der Verzicht (ausnahmsweise) die Abkömmlinge nicht mit erfasst, treten diese gem. § 1924 Abs. 3 BGB an die Stelle des Verzichtenden und sind daher auch i.R.d. Quotenberechnung zu Lasten der übrigen Pflichtteilsberechtigten zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund ist S. 2 im Fall des Erbverzichts, der nur für den Verzichtenden selbst gilt, nicht aber auch seine Abkömmlinge mit einschließt, nicht anwendbar.
Rz. 11
Erfolgte der Verzicht unter Vorbehalt des Pflichtteilsrechts, ist S. 2 ebenfalls nicht anwendbar. Denn "der harte Kern des Erbrechts, das Pflichtteilsrecht" bleibt beim Pflichtteilsvorbehalt unangetastet. Auch ein isolierter Pflichtteilsverzicht, § 2346 Abs. 2 BGB, stellt keinen Fall des S. 2 dar. Auch wenn der mit einer testamentarischen Enterbung verbundene Pflichtteilsverzicht hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Auswirkungen einem Erbverzicht recht nahekommt, dient er in erster Linie dazu, die Verfügungsfreiheit des Erblassers zu erweitern. Mit diesem Ziel würde eine Anwendung von S. 2 in Widerspruch stehen.
Rz. 12
Treffen Fälle des S. 1 und 2 zusammen, muss S. 2 vorrangig angewendet werden, so dass der Verzichtende nicht mitgezählt wird. Auf die Frage, ob der Verzichtende auch noch aus anderen Gründen von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen wäre, kommt es nicht an.
Bei einem teilweisen Erbverzicht fällt der Verzichtende nur insoweit bei der Quotenberechnung weg, wie sein Verzicht reicht; im Übrigen ist er weiterhin zu berücksichtigen. Damit es bei der Anwendung von S. 2 nicht zu Kollisionen mit § 2309 BGB kommen kann, ist die Regelung gegenüber allen neben dem Verzichtenden noch vorhandenen Pflichtteilsberechtigten anzuwenden. Dies kann sich mitunter insbesondere auch auf die Pflichtteilsquote des überlebenden Ehegatten auswirken.
Beispiel
Erblasser E hinterlässt neben seiner Ehefrau F drei Abkömmlinge, A, B und C. A ist enterbt, mit B hatte E einen Erbverzicht vereinbart; C ist Alleinerbe. E und F lebten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Gem. §§ 1931 Abs. 1, 2303 Abs. 2 S. 1 BGB beträgt der Pflichtteil der F ⅛. Der Erbverzicht des B wirkt sich nicht zu ihren Gunsten aus, da eine Erhöhung ihres Erbteils durch das Vorhandensein weiterer Abkömmlinge verhindert wird. Wären E und F in Gütertrennung verheiratet gewesen, hätte sich der Erbverzicht des B für F quotenerhöhend ausgewirkt. Der gesetzliche Ehegattenerbteil hätte gem. § 1934 Abs. 4 BGB (bei nur noch zwei Abkömmlingen) ⅓ betragen, so dass sich gem. § 2303 BGB eine Pflichtteilsquote von 1/6 ergeben hätte.