Rz. 3
Gem. Abs. 1 S. 1 ist der für die Bewertung maßgebliche Zeitpunkt (Stichtag), der Tod des Erblassers (bei Verschollenheit der Zeitpunkt gem. § 9 VerschG). Wertveränderungen nach dem Stichtag dürfen im Rahmen der Bewertung des Nachlasses nicht berücksichtigt werden; sie dürfen sich auf die Höhe des Pflichtteilsanspruchs nicht auswirken. Das Stichtagsprinzip bedeutet indes nicht, dass zukünftige Entwicklungen völlig außer acht zu lassen sind. Vielmehr sind wertbeeinflussende Faktoren, die am Stichtag bereits im Keim angelegt waren, sich jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt manifestieren, auf jeden Fall zu berücksichtigen (Wurzeltheorie). Das Stichtagsprinzip bezieht sich also nicht auf den Wert des jeweiligen Nachlassgegenstands als solchen, sondern vielmehr auf die für die Bewertung maßgeblichen Faktoren. Diese sind zwingend aus der Sicht des Stichtages zu ermitteln. Aus diesem Grunde sind also auch z.B. Zukunftserwartungen, die zum Stichtag bereits absehbar und wirtschaftlich fassbar sind, bei der Bewertung zu berücksichtigen, auch wenn sie sich im zum Stichtag am Markt anzutreffenden Normalverkaufspreis noch nicht niedergeschlagen haben.
Rz. 4
Das starre Stichtagsprinzip kann, z.B. bei Zerstörung von Nachlassgegenständen durch höhere Gewalt, zu erheblichen Härten führen, da das Risiko der Wertminderung nach dem Erbfall allein beim Erben liegt. Es führt zwar zur Rechtssicherheit und einer klaren Risikoverteilung, u.U. aber auch zu großen Härten. Das Risiko des Untergangs oder der Verschlechterung von Nachlassgegenständen wird im Verhältnis zum Pflichtteilsberechtigten allein dem Erben auferlegt. Denn selbst wenn Nachlassgegenstände nach dem Erbfall gestohlen oder durch höhere Gewalt zerstört werden, werden sie für die Bemessung herangezogen, können aber für die Bezahlung des Pflichtteils nicht mehr verwertet werden. Dies kann zu ganz erheblichen Liquiditätsbelastungen beim Erben führen. Die Problemlage ist dieselbe wie auch im Erbschaftsteuerrecht, das ebenfalls das strenge Stichtagsprinzip als "ehernen Grundsatz des Erbschaftsteuerrechts" festhält. Nach der Rechtsprechung kann nur in Extremfällen eine Korrektur über § 242 BGB in Betracht kommen. Zunehmend wird aber darauf hingewiesen, dass es mit dem Sinn und Zweck des Pflichtteilsrechts nicht vereinbar sei, in Fällen "höherer Gewalt" oder beispielsweise bei extremen Kursverlusten infolge eines Börsencrashs keine Anpassungen vorzunehmen. Schließlich hätte den Pflichtteilsberechtigten, wäre er selbst Erbe geworden, aller Wahrscheinlichkeit nach derselbe Verlust getroffen. Vor diesem Hintergrund ist dem Erben in solchen Fällen – unter Durchbrechung des Stichtagsprinzips – das Argument der Unausweichlichkeit der Wertminderung zuzubilligen. Im Rahmen des Leistungsverweigerungsrechts gegen Pflichtteilsergänzungsansprüche (§ 2328 BGB) berücksichtigt die Rechtsprechung bereits nach dem Erbfall eingetretene Wertminderungen zugunsten des Pflichtteilsschuldners Der h.M. ist allerdings zuzugeben, dass dann im Einzelfall Abgrenzungsprobleme entstehen können.