Rz. 100
Der Wert einzelner Nachlassgegenstände kann oftmals nur durch deren Versilberung realisiert werden. Vor allem, wenn zum Nachlass auch Betriebsvermögen gehört, können durch dessen Veräußerung einkommensteuerpflichtige Gewinne entstehen (§ 16 Abs. 3 EStG). Die daraus resultierende Steuerbelastung haben – im Verhältnis zum FA – grundsätzlich der bzw. die Erben zu tragen. Die Gewinne sind deren jeweiligen Steuersätzen zu unterwerfen. Der BGH hat die Frage, wie diese sog. latenten Steuerlasten sich auf den Wert der betroffenen Nachlassgegenstände auswirken, bereits im Jahre 1972 dahingehend entschieden, dass es sich in keinem Fall um abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten handeln könne. Gleichzeitig stellte er aber fest, dass eine Berücksichtigung z.B. im Rahmen einer Unternehmensbewertung durchaus angebracht sein könne. Dies insbesondere dann, wenn die Auflösung der stillen Reserven durch Verkauf absehbar oder sogar vom Erblasser angeordnet sei. Auch in späteren Entscheidungen hat der BGH mehrfach bestätigt, dass latente Steuern i.R.d. Bewertung zu berücksichtigen seien, wenn der Wert der betreffenden Nachlassgegenstände nur durch Verkauf realisiert werden könne.
Rz. 101
Fraglich ist aber (neben der Frage nach der dogmatischen Einordnung; vgl. hierzu Rdn 352 ff.) nach wie vor, mit welchem Steuersatz die latenten Ertragsteuern zu berechnen sind. Denn zum Bewertungsstichtag ist noch gar nicht klar, ob es tatsächlich zu einer Veräußerung kommen wird. Außerdem hängt das Ausmaß der späteren Steuerlast maßgeblich von den individuellen Gegebenheiten, insbesondere von den Familien- und Einkommensverhältnissen des bzw. der Erben ab. Auch Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen können einen erheblichen Einfluss haben. Dies wird auch in einer der wenigen zum Thema ergangenen Entscheidung des BGH deutlich, der zufolge der Ansatz der (auf einem Praxisanteil lastenden) latenten Ertragsteuer i.H.d. halben Steuersatzes, § 34 Abs. 3 EStG (in der damals gültigen Fassung), nicht in Betracht komme, wenn am Bewertungsstichtag solche Steuervergünstigungen nicht bestanden haben. Bei tatsächlicher Veräußerung besteht das Problem, dass die Steuersituationen des Erben und des Pflichtteilsberechtigten nicht übereinstimmen müssen und daher die Zugrundelegung des Steuersatzes des Erben zu Unbilligkeiten führen kann. Festzuhalten ist, dass eine allgemeingültige Regel zur Bestimmung des anzuwendenden Steuersatzes derzeit nicht auszumachen ist; hier besteht in der Praxis ein erhebliches Streitpotenzial. Wegen weiterer Einzelheiten vgl. Rdn 346 ff.