Rz. 232
Freiberufliche Praxen sind in noch stärkerem Maße durch eine ausgeprägte persönliche Bindung des Praxisinhabers zu seinen Klienten und Patienten gekennzeichnet. Die Gerichte lehnen daher i.d.R. zu Recht hierfür die Anwendung der Ertragswertmethode i.S.v. IDW S 1 ab. Vielmehr wird das Sachwertverfahren zugrunde gelegt und ein "Goodwill" berücksichtigt, soweit ein solcher feststellbar ist. Dieser "Goodwill" wird i.d.R. aus einem gewissen Prozentsatz der bereinigten Durchschnittsumsätze der Vorjahre ermittelt, wobei dies branchenabhängig variiert. Dabei werden von der Rechtsprechung auch die Bewertungsgrundsätze der entsprechenden Berufsvertretungen (Ärztekammer, Rechtsanwaltskammer) zugrunde gelegt. Bei Auflösung der Praxis kommt für die Bewertung nur der Sachausstattungswert in Betracht. Dem Veräußerungserlös bei einem Verkauf im Ganzen kommt auch hier erhebliche Bedeutung zu, zumal sonst kaum Vergleichswerte zur Verfügung stehen.
Rz. 233
Die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben am 22.12.2008 ihre neuen gemeinsamen Hinweise zur Bewertung von Arztpraxen vom 9.9.2008 veröffentlicht. Auch wenn diese Hinweise die mit Wirkung zum 1.1.2009 eingeführte Gebührenordnung durch den einheitlichen Bewertungsmaßstab und damit einhergehende wesentliche Veränderungen der zu erwartenden Umsätze nicht berücksichtigen und daher berechtigter Kritik ausgesetzt sind, ist davon auszugehen, dass sie in der Praxis Beachtung finden.
Rz. 234
Ähnlich wie für Arztpraxen besteht auch für Rechtsanwaltskanzleien ein Leitfaden zur Bewertung, den die Bundesrechtsanwaltskammer auf den Stand 11.8.2017 fortgeschrieben und aktualisiert hat. Auch der Wert einer Anwaltskanzlei soll sich aus zwei Komponenten zusammensetzen, nämlich dem Substanzwert (bestehend aus Büroeinrichtung, ausstehenden Forderungen und Verbindlichkeiten) sowie dem ideellen Wert (sog. Kanzleiwert, "good will" oder Firmenwert).
Rz. 235
Für die Ermittlung des Substanzwerts ist der Verkehrswert (ausdrücklich nicht der Anschaffungswert) maßgeblich. Bei der Ermittlung des Kanzleiwerts ist zu beachten, dass dieser nachhaltig personengebunden und daher mit dem Geschäftswert eines gewerblichen Unternehmens nicht vergleichbar ist.
Rz. 236
Bemessungsgrundlage für den Kanzleiwert ist grundsätzlich der bereinigte Ist-Umsatz ohne Umsatzsteuer. Zu bereinigen sind insbesondere die außerordentlichen personenbezogenen Einnahmen (z.B. als Politiker, Mitglied eines Aufsichtsrats oder Beirats, Organ eines Verbands, Vereins und/oder einer sonstigen Organisation, Schriftsteller, Lehrer, Referent in Fort-, Aus- und Weiterbildungsveranstaltungen). Daneben sind aber auch die außerordentlichen anwaltsbezogenen Einnahmen (als Testamentsvollstrecker, Insolvenzverwalter, Zwangsverwalter, Vormund, Pfleger, Vermögensverwalter, Treuhänder, Mediator, Mitglied eines Schiedsgerichts, Sachverständiger, Betreuer etc.) zu bereinigen, soweit diese Einnahmen nur gelegentlich erzielt werden und nicht aus der Haupttätigkeit des Rechtsanwalts resultieren.
Rz. 237
Der bereinigte Umsatz ist mit einem Berechnungsfaktor zu multiplizieren, dessen Höhe sich grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalles richtet, der aber i.d.R. zwischen 0,3 und 1,0 liegt, in besonderen Fällen aber auch auf 0 sinken bzw. bis auf 1,3 steigen kann. Eine Reduzierung auf 0 kommt insbesondere dann in Betracht, wenn durch Krankheit oder aus anderen Gründen eine Kanzlei lange nicht mehr betrieben wurde oder völlig unwirtschaftliche oder zerrüttete Verhältnisse vorliegen.
Rz. 238
Für die Bewertung von Steuerberaterkanzleien wird ebenfalls oftmals eine Kombination von Sachwert (Vermögensgegenstände abzüglich Schulden zu Verkehrswerten) und Goodwill herangezogen. Der Goodwill wird hierbei häufig in Größenordnungen zwischen 80 % und 120 % des (durchschnittlichen, nachhaltigen) Umsatzes angegeben.
Rz. 239
Das Präsidium der Bundessteuerberaterkammer hat am 6.3.2017 aktualisierte Hinweise für die Ermittlung des Werts einer Steuerberatungspraxis beschlossen. Demnach existiert für die Bewertung von Steuerberaterpraxen kein allgemein gültiges Verfahren. In den Hinweisen angesprochen bzw. erläutert werden das sog. Umsatzverfahren als ein vereinfachtes Preisfindungsverfahren sowie das Ertragswertverfahren. Die Hinweise haben jedoch ausdrücklich keinen verbindlichen Charakter.
Rz. 240
Bei einem reinen Architekturbüro verneint die Rechtsprechung einen "Goodwill", da hier die persönliche kreative Leistung des Architekten allein als wie Beauftragung ausschlaggebend anzusehen sei. Die Frage, ob ein Vermessungsingenieurbüro einen über den Substanzwert hinausgehenden Wert hat, wurde bislang noch nicht ausdrücklich entschieden, sie unterliegt daher stets der Prüfung im Einzelfall.