aa) Bewertung von Handwerksbetrieben
Rz. 228
Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen, zu denen i.d.R. auch Handwerksbetriebe gehören, liefert die Anwendung der Ertragswertmethode nach IDW S 1 nur eingeschränkte verwertbare Ergebnisse. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass der Detaillierungsgrad der verfügbaren Planungsdaten nicht ausreichend ist und der Abhängigkeit des Unternehmenswerts von individuellen Eigenschaften des Inhabers, bestimmter Mitarbeiter, Lieferanten und einzelner Kunden bzw. Kundengruppen nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Außerdem bleiben die individuelle Konkurrenzsituation und das individuelle Leistungsangebot sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken bei der Bewertung nach der Ertragswertmethode weitgehend unberücksichtigt. Vor diesem Hintergrund hat der Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) den sog. AWH-Standard geschaffen.
Rz. 229
Das Bewertungsverfahren nach dem AWH-Standard folgt dogmatisch der Ertragswertmethode, ist jedoch auf die Besonderheiten von kleinen und mittelständischen Handwerksunternehmen abgestimmt. Da in der handwerklichen Praxis im Regelfall kein die Strategie des Alteigentümers fortschreibendes, betriebswirtschaftlich fundiertes Planungsmodell existiert, bilden anstelle der für die Ertragswertmethode maßgeblichen Planungsdaten die Jahresabschlüsse der letzten drei bis fünf Jahre die Bewertungsgrundlage. Die Jahresüberschüsse sind um betriebsfremde und außerordentliche Aufwendungen bzw. Erträge zu korrigieren und hinsichtlich persönlich oder familiär motivierter Faktoren, z.B. unangemessener Entlohnung von Familienangehörigen, zu überprüfen. Da auch Zinsen und Skonti in kleineren Betrieben oftmals durch eine persönlich motivierte Finanz- und Entnahmepolitik des Inhabers beeinflusst werden, sind auch diese Posten kritisch zu hinterfragen.
Rz. 230
Eine wesentliche wertbeeinflussende Größe stellt der kalkulatorische Unternehmerlohn dar. Da dieser im Einzelfall kaum unstreitig ermittelt werden kann, ihm jedoch für das Bewertungsergebnis eine erhebliche Bedeutung zukommt, sieht der AWH-Standard hier einen pragmatischen Ansatz vor, der auf dem tariflichen Meistergehalt zuzüglich Arbeitgeberanteil für Sozialversicherung und 20 % bis 50 % Zuschlag für die Unternehmertätigkeit (Mehrarbeit, Haftung etc.) aufbaut. Die Angemessenheit des so ermittelten Ergebnisses ist jedoch im jeweiligen Einzelfall konkret zu überprüfen.
Rz. 231
Die Bewertung umfasst grundsätzlich die gesamte wirtschaftliche Unternehmenseinheit als "intakte Einkommensquelle". Vor diesem Hintergrund sind sämtliche Gegenstände des betriebsnotwendigen Anlagevermögens sowie der betriebsnotwendige Waren- und Materialbestand einzubeziehen. Bei Übernahme zusätzlicher Werte, wie z.B. Forderungen, teilfertigen Leistungen etc., oder Verbindlichkeiten ist der ermittelte Ertragswert entsprechend anzupassen. Die Bewertung erfolgt grundsätzlich ohne Betriebsgrundstücke und Gebäude. Die sich hieraus ergebenden Korrekturen werden im Bereich der kalkulatorischen Kosten erfasst.
bb) Bewertung von freiberuflichen Praxen
Rz. 232
Freiberufliche Praxen sind in noch stärkerem Maße durch eine ausgeprägte persönliche Bindung des Praxisinhabers zu seinen Klienten und Patienten gekennzeichnet. Die Gerichte lehnen daher i.d.R. zu Recht hierfür die Anwendung der Ertragswertmethode i.S.v. IDW S 1 ab. Vielmehr wird das Sachwertverfahren zugrunde gelegt und ein "Goodwill" berücksichtigt, soweit ein solcher feststellbar ist. Dieser "Goodwill" wird i.d.R. aus einem gewissen Prozentsatz der bereinigten Durchschnittsumsätze der Vorjahre ermittelt, wobei dies branchenabhängig variiert. Dabei werden von der Rechtsprechung auch die Bewertungsgrundsätze der entsprechenden Berufsvertretungen (Ärztekammer, Rechtsanwaltskammer) zugrunde gelegt. Bei Auflösung der Praxis kommt für die Bewertung nur der Sachausstattungswert in Betracht. Dem Veräußerungserlös bei einem Verkauf im Ganzen kommt auch hier erhebliche Bedeutung zu, zumal sonst kaum Vergleichswerte zur Verfügung stehen.
Rz. 233
Die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben am 22.12.2008 ihre neuen gemeinsamen Hinweise zur Bewertung von Arztpraxen vom 9.9.2008 veröffentlicht. Auch wenn diese Hinweise die mit Wirkung zum 1.1.2009 eingeführte Gebührenordnung durch den einheitlichen Bewertungsmaßstab und damit einhergehende wesentliche Veränderungen der zu erwartenden Umsätze nicht berücksichtigen und daher berechtigter Kritik ausgesetzt sind, ist davon auszugehen, dass sie in der Praxis Beachtung finden.
Rz. 234
Ähnlich wie für Arztpraxen besteht auch für Rechtsanwaltskanzleien ein Leitfaden zur Be...