Rz. 102
Besteht kein gängiger Marktpreis und kommt auch kein Wertansatz aufgrund eines tatsächlich erzielten Kaufpreises in Frage, so ist eine Schätzung erforderlich. Dies gilt auch und gerade dann, wenn bei einem landwirtschaftlichen Anwesen nach § 2312 BGB der i.d.R. im Vergleich zum Verkehrswert wesentlich niedrigere Ertragswert zugrunde gelegt werden kann, wobei es hier besonders schwierig ist, einen qualifizierten Gutachter zu finden. Eine bestimmte Methode für die Wertermittlung ist im Pflichtteilsrecht nicht vorgeschrieben. Für die Bewertung kommen grundsätzlich folgende Verfahren in Betracht. Sie können untereinander kombiniert oder aber durch entsprechende Differenzierung weiter entwickelt werden:
Rz. 103
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Vergleichswertverfahren: Wenn ein Markt mit festen Preisvorstellungen für ver-gleichbare Objekte besteht, kann auf Vergleichspreise zurückgegriffen werden. |
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Substanz- oder Sachwertverfahren: Angesetzt wird der Wiederbeschaffungspreis des veräußerungsfähigen Vermögensgegenstands (Reproduktionswert). Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Nachlass so viel wert ist, wie benötigt würde, um ein vergleichbares Objekt zu reproduzieren. |
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Ertragswertverfahren: Es kommt zur Anwendung bei ihrer Art nach grundsätzlich ertragsfähigen Nachlassobjekten und ist der Barwert der zukünftig erzielbaren Einnahme-Überschüsse. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass ein Käufer sich bei seiner Investitionsentscheidung und damit Kalkulation des Kaufpreises immer an dem zu erwartenden Ertrag orientieren würde. |
Rz. 104
Das Wertgutachten bildet oft eine ganz erhebliche Weichenstellung im Rahmen der Pflichtteilsauseinandersetzung; es kann sogar über Wohl oder Wehe des Verfahrensausgangs entscheiden. Daher ist auf seine Einholung und Überprüfung besondere Sorgfalt zu verwenden. Dies beginnt bereits bei der Auswahl des Gutachters.
Rz. 105
Zu beachten sind auch die beschränkten prozessualen Auswirkungen eines Privatgutachtens, das der Erbe veranlasst: Der Pflichtteilsberechtigte ist hieran nicht gebunden, vielmehr stellt es nur ein substantiiertes Vorbringen des Pflichtteilsschuldners dar. Anders liegt es, wenn im Einvernehmen mit dem Pflichtteilsberechtigten ein Schiedsgutachten erstellt wird, das aber auch dann angefochten werden kann, wenn sich die Unbilligkeit aufdrängt.
Rz. 106
Nach der Rechtsprechung ist es grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters, unter Zuziehung eines Sachverständigen zu entscheiden, welche von mehreren in Betracht kommenden Bewertungsmethoden im jeweiligen Einzelfall zu einem angemessenen Ergebnis führt. Dabei hängt es von der Entscheidung der Tatsacheninstanz ab, ob diese dem Gutachter die anzuwendende Bewertungsmethode vorgibt. Aufgabe des sachverständig beratenen Gerichts ist dabei, die richtige Bewertungsmethode im Hinblick auf ihre Eignung im konkreten Fall sachverhaltsspezifisch auszuwählen und anzuwenden. Bestehen hinsichtlich der Anwendbarkeit der Bewertungsmethode aus betriebswirtschaftlichen oder juristischen Gründen Zweifel, hat sich der Gutachter mit diesen im Rahmen seines Gutachtens auseinanderzusetzen und darzulegen, wieso er einer bestimmten Methode den Vorzug gibt. Die dem Sachverständigen zustehende Wahlfreiheit in der Bewertungsmethode darf im Rahmen der Wertermittlung des Pflichtteilsanspruchs bei der dort festzustellenden Offenheit des Gesetzes bezüglich des Bewertungsansatzes zu keiner Methodenverkürzung in dem Sinne führen, dass der Sachverständige die einschlägigen Befundtatsachen nur nach Maßgabe der von ihm bevorzugten Methode feststellt.
Rz. 107
Die Entscheidung des Tatrichters über die Art und Weise der vorzunehmenden Bewertung ist Tatfrage, die im Rahmen des Revisionsverfahrens nur eingeschränkt überprüfbar ist, und zwar im Wesentlichen nur darauf, ob die Tatsacheninstanz von rechtsfehlerhaften Erwägungen ausgegangen ist und gegen Denk- und Erfahrungssätze verstoßen hat. Rechtsfrage ist dagegen das Bewertungsziel; gerade im Bewertungsrecht wird beides häufig miteinander verschwimmen. Diese Frage hat u.U. auch bereits für das Berufungsverfahren erhebliche Bedeutung. Denn die Berufung kann gem. § 513 Abs. 1 ZPO nur auf eine Rechtsverletzung gestützt werden oder darauf, dass nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dabei sind auch die weitreichenden Präklusionsmöglichkeiten nach §§ 530, 531 ZPO zu beachten.