Gesetzestext
(1)1Hat der Erblasser angeordnet oder ist nach § 2049 anzunehmen, dass einer von mehreren Erben das Recht haben soll, ein zum Nachlass gehörendes Landgut zu dem Ertragswert zu übernehmen, so ist, wenn von dem Recht Gebrauch gemacht wird, der Ertragswert auch für die Berechnung des Pflichtteils maßgebend. 2Hat der Erblasser einen anderen Übernahmepreis bestimmt, so ist dieser maßgebend, wenn er den Ertragswert erreicht und den Schätzungswert nicht übersteigt.
(2)Hinterlässt der Erblasser nur einen Erben, so kann er anordnen, dass der Berechnung des Pflichtteils der Ertragswert oder ein nach Absatz 1 Satz 2 bestimmter Wert zugrunde gelegt werden soll.
(3)Diese Vorschriften finden nur Anwendung, wenn der Erbe, der das Landgut erwirbt, zu den in § 2303 bezeichneten pflichtteilsberechtigten Personen gehört.
A. Allgemeines
Rz. 1
§ 2312 BGB bildet eine agrarpolitische Schutzvorschrift, die dem Ziel dient, dem Erben die Erhaltung des Betriebs zu ermöglichen. Denn der Erhalt leistungsfähiger landwirtschaftlicher Betriebe in bäuerlichen Familien liegt nach Auffassung des BVerfG im öffentlichen Interesse. Insbesondere soll der Erbe davor geschützt werden, wegen der Befriedigung der Pflichtteilsberechtigten einzelne oder mehrere Grundstücke zu veräußern und dadurch die Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit des Betriebs insgesamt zu gefährden. Dabei spielt sein privates Interesse am Erhalt des erworbenen Vermögens gegenüber den erwähnten öffentlichen Interessen nur eine untergeordnete Rolle. Die Rechtsprechung geht bislang davon aus, dass die Privilegierung landwirtschaftlichen Vermögens nicht gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoße. Dies gelte allerdings nur, soweit im Einzelfall davon ausgegangen werden könne, dass der Gesetzeszweck (Erhaltung leistungsfähiger landwirtschaftlicher Betriebe) auf diese Weise auch tatsächlich erreicht werde. Eine ausnahmslose, also an keine weiteren Voraussetzungen gebundene Anwendung eines unter dem Verkehrswert liegenden Ertragswerts (wie sie früher in § 1356 Abs. 4 BGB im Zusammenhang mit dem Zugewinnausgleich vorgesehen war) hat das Bundesverfassungsgericht für eine "unverhältnismäßige Verschiebung der Opfergrenze" und daher für verfassungswidrig gehalten. Eine Wertprivilegierung, die ausdrücklich dem Zweck dient, überkommene bäuerliche Familienbetriebe dauerhaft zu erhalten, ist dem gegenüber aber verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 2
Technisch betrachtet stellt § 2312 BGB eine lex specialis zu § 2311 BGB dar, indem abweichend vom Grundsatz der Maßgeblichkeit des tatsächlichen Werts ein typisierter, i.d.R. weit hinter dem Verkehrswert zurückbleibender (in Bayern liegt das Verhältnis v. Liquidationswert zu Ertragswert i.S.d. § 2312 BGB bei 8:1 – 14:1) Wertansatz für Landgüter vorgesehen wird. Das den weichenden Erben bzw. den Pflichtteilsberechtigten hierdurch abverlangte Opfer ist im Hinblick auf das öffentliche Interesse am Erhalt gesunder agrarpolitischer und agrarökonomischer Strukturen im Grundsatz verfassungsrechtlich unbedenklich. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Erhaltung des landwirtschaftlichen Betriebs in der Hand einer vom Gesetz begünstigten Person tatsächlich nicht erreicht werden kann.
Rz. 3
Der Ansatz des Ertragswerts i.S.v. § 2312 BGB führt i.d.R. zu einer wesentlich niedrigeren Bewertung. Dies beruht auf folgender bewertungsrechtlicher Besonderheit: Zwar ist heute ganz überwiegend anerkannt, dass bei der Bewertung von Betriebsvermögen i.d.R. grundsätzlich auch ohne besondere gesetzliche Anordnung auf den Ertrags- und nicht auf den Substanzwert abzustellen ist. Jedoch bildet bei der Pflichtteilsberechnung sonst der Liquidationswert die Untergrenze (siehe § 2311 Rdn 174). Für Landgüter gilt aber aufgrund der Bestimmung des § 2312 BGB dieses untere Limit nicht, so dass gerade hierin die Wertprivilegierung der Landwirtschaft liegt. Dies führt dazu, dass meistens der Ertragswert nach § 2312 BGB wesentlich niedriger ist als der Verkehrswert.