I. Beurteilungsgrundsätze
Rz. 3
Auch wenn das Pflichtteilsrecht und insbesondere die zur Pflichtteilsberechnung vorzunehmende Bewertung des Nachlasses grundsätzlich vom Stichtagsprinzip des § 2311 BGB beherrscht wird, ist i.R.d. Anwendung des § 2313 BGB eine Erweiterung dieses Ansatzes geboten. Denn bei der Beurteilung der Frage, ob ein Vermögensgegenstand oder eine Schuld als unsicher, zweifelhaft, ungewiss oder bedingt anzusehen ist, muss im Hinblick auf das Bestreben des Gesetzes, eine möglichst rasche und endgültige Regelung der Pflichtteilsansprüche zu gewährleisten, der Rechtsgedanke des § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB, Wertaufhellung, Anwendung finden. Deshalb gilt als maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt – ausnahmsweise – die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs. Demzufolge kommt es nicht nur darauf an, wie ein Vermögensgegenstand oder Schuldposten zur Zeit des Erbfalls zu beurteilen war. Zwischen Erbfall und Geltendmachung eingetretene Entwicklungen sind vielmehr zu berücksichtigen. Rechte und Verbindlichkeiten, die zur Zeit des Erbfalls (noch) bedingt, zweifelhaft, ungewiss oder unsicher waren, aber bis zur Geltendmachung unbedingt, zweifelsfrei, gewiss oder sicher geworden sind, müssen voll in Ansatz gebracht werden. Denn in diesen Fällen hat sich die anfänglich bestehende, einem (Wert-)Ansatz im Weg stehende Unsicherheit sozusagen erledigt. Soweit Bedingungen oder Zweifel nur noch teilweise bestehen, sind dementsprechend die zwischenzeitlich unbedingten oder nicht mehr zweifelhaften Teile in Ansatz zu bringen.
Kommen erst nach dem Erbfall Zweifel oder Unsicherheiten, z.B. an der Realisierbarkeit einer Forderung, auf, kann dies i.R.d. § 2313 BGB nicht berücksichtigt werden. Der Tatbestand der Vorschrift muss bereits zur Zeit des Erbfalls erfüllt sein. Das schließt natürlich nicht aus, wertaufhellende Umstände auch in die Bewertung nach § 2311 BGB einzubeziehen. Außerdem gilt auch i.R.d. Anwendung des § 2313 BGB das Stichtagsprinzip des § 2311 BGB. Für die Frage, ob ein Vermögensgegenstand oder eine Verbindlichkeit als unsicher, ungewiss, bedingt oder zweifelhaft anzusehen ist, kommt es selbstverständlich nicht auf die subjektive Ansicht des Erben an, sondern auf die juristisch sachgerechte Beurteilung eines objektiven Dritten, also die objektive Sachlage.
II. Bei der Nachlassbewertung nicht zu berücksichtigende Rechte und Verbindlichkeiten
Rz. 4
Außer Ansatz bleiben nach § 2313 BGB solche Rechte und Verbindlichkeiten, die (am Stichtag noch) aufschiebend bedingt sind. Unter aufschiebender Bedingung sind insoweit zum einen rechtsgeschäftliche, zum anderen aber auch echte Rechtsbedingungen zu verstehen. Letztere sind dadurch gekennzeichnet, dass bis zu ihrem Eintritt ein oder mehrere zur Entstehung des Rechts/der Verbindlichkeit erforderliche Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt sind. Der Grad der Wahrscheinlichkeit des Bedingungseintritts ist unbeachtlich. Dies gilt für jegliche Art von Vermögensgegenständen und Schulden gleichermaßen.
Vor diesem Hintergrund kann als aufschiebend bedingte Verbindlichkeit beispielsweise auch eine durch den Tod des Erblassers ausgelöste Rück-, Weiterleitungs- oder Herausgabeverpflichtung im Hinblick auf ein dem Erblasser zugewendetes Geschenk in Betracht kommen. Denn die Rückforderungsmöglichkeit aufgrund des zu Lebzeiten des Erblassers begründeten Schenkungsvertrages ist im Zeitpunkt des Erbfalls (noch) bedingt. Erst wenn der Schenker das ihm zustehende Recht ausübt, tritt die Bedingung ein.
Anders ist die Rechtslage aber bei Vereinbarung einer auflösenden Bedingung für den Fall des Versterbens des Beschenkten, da hier die Rückgabe- oder Weiterleitungsverpflichtung unmittelbar mit dem Erbfall entsteht und von keiner weiteren Bedingung abhängig ist.
Rz. 5
Nicht angesetzt werden auch ungewisse oder unsichere Rechte. Darunter sind solche Rechte zu verstehen, deren grundsätzlicher Bestand zweifelhaft ist oder bei denen Zweifel bestehen, dass tatsächlich der Erblasser der Inhaber eines etwaigen Anspruchs war. Das gilt z.B. auch bei anfechtbaren oder schwebend unwirksa...