I. Kürzungsbefugnis (Abs. 1)
Rz. 4
Gem. Abs. 1 kann der Erbe gegenüber Vermächtnisnehmern und Auflagenbegünstigten anteilsmäßige Beteiligung an der Pflichtteilslast verlangen, sofern sich aus den §§ 2321, 2322 BGB nichts anderes ergibt bzw. der Erblasser keine abweichenden Anordnungen nach § 2324 BGB getroffen hat. § 2318 BGB greift grundsätzlich nicht nur zugunsten des pflichtteilsberechtigten Alleinerben, sondern auch bei einer Erbenmehrheit ein. Auch dem Testamentsvollstrecker steht in gleichem Umfang wie den Erben das Kürzungsrecht des § 2318 BGB zu.
Rz. 5
Das Kürzungsrecht bezieht sich auch auf gesetzliche Vermächtnisse, wie etwa den Dreißigsten nach § 1969 BGB, nicht jedoch auf den Voraus des Ehegatten, § 2332 BGB, den Unterhaltsanspruch der Mutter eines ungeborenen Erben nach § 1963 BGB sowie den Ausbildungsanspruch des Stiefabkömmlings nach § 1371 Abs. 4 BGB. Hierbei handelt es sich nicht um Vermächtnisse. Vermächtnisnehmer und Auflagenbegünstigte haben sich entsprechend des Wertes ihrer Beteiligung am Nachlass an der Pflichtteilslast zu beteiligen, was zu einer gleichmäßigen Verteilung der Pflichtteilslast unter den Nachlassbeteiligten führt. Voraussetzung für die Kürzungsbefugnis ist, dass ein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht wird, durch welchen der oder die Erben wirtschaftlich belastet werden. Die bloße Ankündigung der Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs beinhaltet aber noch keine den Erben wirtschaftlich treffende Inanspruchnahme. Verzichtet der Pflichtteilsberechtigte schenkweise auf seinen Pflichtteilsanspruch, so bleibt das Kürzungsrecht bestehen. Es entfällt, wenn der Pflichtteilsanspruch bereits verjährt ist. Bei Vermächtnissen, die auf eine unteilbare Leistung gerichtet sind, kann eine Kürzung nicht erfolgen. Der Erbe kann vom Vermächtnisnehmer die Erstattung des hypothetischen Kürzungsbetrages verlangen. Vor der Erstattung braucht er das Vermächtnis nicht zu erfüllen. Verweigert der Vermächtnisnehmer die Zahlung, muss der Erbe nur den um den Kürzungsbetrag verminderten Vermächtniswert in Geld leisten.
II. Durchführung der Kürzung
Rz. 6
Die Vorschrift will die wertverhältnismäßige Verteilung der Pflichtteilslast auf Erben und Vermächtnisnehmer bzw. Auflagenbegünstigte regeln. Dies wird erreicht, wenn sich die Pflichtteilslast der Erben im Verhältnis zu der des Vermächtnis- oder Auflagenbegünstigten entsprechend der wertmäßigen Nachlassbeteiligung des Erben zu der des Vermächtnisnehmers bzw. Auflagenbegünstigten verhält, wobei der Nachlasswert ohne Abzug des Pflichtteils, aber in Abweichung zu § 2311 BGB unter Berücksichtigung aller Vermächtnisse und Auflagen zu ermitteln ist. Der Kürzungsbetrag ermittelt sich nach der sog. Martin’schen Formel:
Beispiel
Der Nachlass beträgt 60.000 EUR. Alleinerbin ist die Lebensgefährtin L des Erblassers E. Der einzige Sohn S ist enterbt. Bzgl. des Freundes D ist ein Vermächtnis i.H.v. 20.000 EUR ausgesetzt.
Der Kürzungsbetrag beträgt nach Anwendung der Martin’schen Formel 10.000 EUR.
Rz. 7
Bestehen weder Anrechnungs- noch Ausgleichungspflichten, kann der Kürzungsbetrag unter Zugrundelegung der Pflichtteilsquote des Pflichtteilsberechtigten einfacher errechnet werden. Der Kürzungsbetrag entspricht der Pflichtteilsquote, ausgedrückt in Prozent.
Rz. 8
Bei mehreren Vermächtnisnehmern bzw. Auflagebegünstigten besteht das Recht zur Kürzung gegenüber jedem durch Vermächtnis oder Auflage Begünstigten. Etwas anderes gilt nur bei abweichender Anordnung des Erblassers oder wenn Abs. 2 entgegensteht. Der Kürzungsbetrag errechnet sich nach der oben dargestellten Martin’schen Formel, wobei sich das Verhältnis aus dem Anteil aller Zuwendungen am Nachlasswert ergibt.
Rz. 9
Nach Abs. 1 tragen die Erben im Innenverhältnis zu den Vermächtnisnehmern (und Auflagenbegünstigten) die Pflichtteilslast anteilig, wenn der Erblasser keine anderweitige Regelung getroffen hat (§ 2324 BGB) und kein Ausnahmetatbestand vorliegt (§§ 2321, 2322 BGB). Eine Kürzung des Vermächtnisses darf aber nur dann erfolgen, wenn ein Pflichtteilsanspruch gegen die Erben geltend gemacht werden kann. Dies ist nicht der Fall, wenn die Erben mit dem Pflichtteilsanspruch wirtschaftlich nicht belastet sind, weil dieser objektiv verjährt ist. Die Beweislast dafür, dass der Pflichtteilsanspruch nicht verjährt ist bzw. die Verjährung gehemmt ist, tragen die Erben. Für den Wegfall des Kürzungsrechts kommt es nicht darauf an, ob die mit dem Pflichtteilsanspruch belasteten Erben die Verjährungseinrede tatsächlich erheb...