a) Allgemeines
Rz. 110
Das Bestehen einer Anrechnungspflicht nach § 2315 BGB ändert an der Anwendbarkeit von § 2325 BGB nichts. Es lässt das Bestehen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs sowie auch den Weg seiner Berechnung prinzipiell unberührt.
Rz. 111
Das Verhältnis von § 2325 BGB zu § 2316 BGB ist bislang nicht abschließend geklärt. Neben den Fällen des "unzureichenden Nachlasses" sind sowohl die Fälle, in denen eine Zuwendung gleichzeitig ausgleichungspflichtig ist und (wenigstens teilweise) Schenkungscharakter hat – z.B. die Übermaßausstattung, ausgleichungspflichtige Schenkung nach § 2050 Abs. 3 BGB – als auch diejenigen, in denen neben ausgleichungspflichtigen auch ergänzungspflichtige Zuwendungen erfolgten, umstritten.
b) Unzureichender Nachlass
Rz. 112
Die zum Problemkreis des unzureichenden Nachlasses ergangenen Entscheidungen stehen teilweise zueinander in deutlichem Widerspruch. Der BGH hat zum Spannungsverhältnis von Ausgleichung und Pflichtteilsergänzung nur einmal am Rande Stellung genommen: grundsätzlich vollzieht sich die Ausgleichung am realen Nachlass. Zur Durchführung der Ausgleichung werden sämtliche ausgleichungspflichtige Zuwendungen dem Nachlass hinzugerechnet. Anschließend erfolgt eine Anrechnung der Zuwendung auf den Erbteil desjenigen Abkömmlings, der sie erhalten hat. Die Hälfte dieses Wertes entspricht dem Wertpflichtteil gem. § 2316 Abs. 1 S. 1 BGB. Hinterlässt ein Erblasser kein ausreichendes Vermögen, scheitert eine (vollständige) Ausgleichung, da nach § 2056 S. 2 BGB ein den Ausgleichungserbteil übersteigender Mehrbetrag vom Zuwendungsempfänger nicht herauszugeben ist. Die Ausgleichungsvorschriften klären somit nur die Frage, wie ein vorhandener Nachlass unter den Miterben zu verteilen ist. Das RG hat jegliche Berücksichtigung nur ausgleichungspflichtiger Vorempfänge bei der Ermittlung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs abgelehnt, soweit ein Erblasser keinen effektiven Nachlass hinterlässt. Eine Heranziehung auch der nur ausgleichungspflichtigen Vorempfänge würde die durch § 2056 BGB gewährleistete Befreiung von jeder Herausgabepflicht vereiteln. Nach Auffassung des BGH steht jedoch § 2056 BGB einer Berücksichtigung nur ausgleichungspflichtiger Vorempfänge bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nicht entgegen. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch der §§ 2325 ff. BGB verfolge das Ziel, den Berechtigten so zu stellen, als befände sich der verschenkte Gegenstand im Zeitpunkt des Erbfalls noch im Nachlass. Dieser Grundsatz gelte auch hinsichtlich ausgleichungspflichtiger Vorempfänge. Nach Auffassung des BGH hat die Ausgleichung am Ergänzungsnachlass zu erfolgen, da §§ 2056, 2316 BGB keine lex specialis gegenüber § 2325 BGB darstellen. Ob diese Grundsätze auf den Negativnachlass übertragbar sind, wurde bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden, im Ergebnis kann hier aber wohl nichts anderes gelten.
c) Pflichtteilsergänzung neben Ausgleichung
Rz. 113
Grundsätzlich wird man festhalten können, dass eine doppelte Berücksichtigung ausgleichungspflichtiger Zuwendungen – zum einen im Rahmen der Ausgleichung, zum anderen zur Rechtfertigung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs – im Ergebnis nicht in Frage kommen kann. Ausgleichungspflichtige Zuwendungen werden in die Bestimmung des Ausgleichungsnachlasses einbezogen und wirken sich dadurch bei der Berechnung des ordentlichen Pflichtteilsanspruchs aus. Ihre nochmalige Berücksichtigung beim Pflichtteilsergänzungsanspruch ist daher nicht gerechtfertigt.
Rz. 114
Handelt es sich bei der ausgleichungspflichtigen Zuwendung gleichzeitig auch um eine Schenkung, so unterliegt nach BGH nur der bei der Ausgleichung nach §§ 2050 ff., 2316 BGB nicht berücksichtigte Betrag der Pflichtteilsergänzung. Der BGH und die herrschende Lehre berechnen danach den Pflichtteilsergänzungsanspruch wie folgt: Zunächst werden die Vorempfänge und Schenkungen dem Nachlass hinzuaddiert, danach mit der Erbquote des Pflichtteilsberechtigten multipliziert und sein Vorempfang abgezogen; der so errechnete Ausgleichungserbteil wird schließlich halbiert. Von dem so ermittelten Gesamtpflichtteil ist dann der ordentliche Pflichtteil in Abzug zu bringen, um den Pflichtteilsergänzungsanspruch zu ermitteln. Auf diese Weise kommt es tendenziell zu einer Begünstigung des Pflichtteilsberechtigten, der eher mit einer Zahlung des Empfängers der ausgleichungspflichtigen Zuwendung rechnen kann als bei bloßer Durchführung der Ausgleichung. Es besteht daher die Gefahr, dass dem Zuwendungsempfänger trotz der Regelun...