a) Grundsätzliches
Rz. 135
Soweit im Valutaverhältnis eines Vertrages zugunsten Dritter, insbesondere einer Lebensversicherung, eine Schenkung vorliegt, stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage der Pflichtteilsergänzungsanspruch zu berechnen ist. Dies war in der Lit. teils heftig umstritten. Überwiegend wurde vertreten, dass – jedenfalls bei kapitalbildenden Lebensversicherungen – auf die Summe der eingezahlten Prämien abzustellen sei. Diese Sichtweise entsprach lange Zeit auch der höchstrichterlichen Rspr. Die Gegenmeinung in der Lit. sah hingegen die Versicherungsleistung als maßgebliche Bezugsgröße zur Ermittlung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs an.
b) Rechtsprechung des BGH
Rz. 136
Der BGH hat inzwischen mit Urteil v. 28.4.2010 unter Aufgabe seiner früheren Rspr. die Streitfrage zugunsten keiner der beiden maßgeblichen Fraktionen entschieden. Vielmehr soll es – bei einer widerruflichen Bezugsrechtseinräumung – auf den Wert ankommen, "den der Erblasser aus den Rechten seiner Lebensversicherung in der letzten – juristischen – Sekunde seines Lebens nach objektiven Kriterien für sein Vermögen hätte umsetzen können". Demzufolge sei i.d.R. auf den Rückkaufswert abzustellen, unter Umständen auch auf einen objektiv belegten höheren möglichen Veräußerungspreis.
Rz. 137
Nach Auffassung des BGH handelt es sich bei der widerruflichen Bezugsrechtseinräumung um eine Art "mittelbare Schenkung", da der Gegenstand der Bereicherung des Bezugsberechtigten nie Teil des Erblasservermögens gewesen sei, sondern vielmehr originär in der Person des Bezugsberechtigten entstehe. Im Valutaverhältnis (zwischen Erblasser und Bezugsberechtigtem) sei Gegenstand der Schenkung aber trotzdem die volle Versicherungssumme, da beide Parteien darauf abzielten, dem Bezugsberechtigten den Versicherungsanspruch kondiktionsfest zu verschaffen. Dessen ungeachtet sei aber Berechnungsgrundlage des Pflichtteilsergänzungsanspruchs die wertmäßige Minderung des Nachlasses, maßgeblich sei insoweit der "Entreicherungsgegenstand". Für die Wertermittlung will der BGH auf die letzte – logische – Sekunde des Lebens des Erblassers abstellen. Er begründet dies damit, dass – auch wenn der Anspruch auf die Versicherungsleistung eine nicht verbrauchbare Sache i.S.v. Abs. 2 S. 2 Hs. 1 sei – eine Bewertung des Vermögensabflusses aus dem Erblasser-Vermögen im Zeitpunkt des Todes nicht möglich sei, weil in eben diesem Moment der Anspruch auf die Versicherungsleistung originär in der Person des Bezugsberechtigten entstünde und auch vorher zu keinem Zeitpunkt zum Erblasser-Vermögen gehört habe. Mithin folge aus der Konstruktion der mittelbaren Schenkung und den Charakteristika des Versicherungsvertrages, dass für die Durchführung des Niederstwertprinzips (Abs. 2 S. 2) "der Wert des Entreicherungsgegenstandes (in der letzten juristischen Sekunde, in der er sich noch im Vermögen des Erblassers befindet) mit dem Wert des Bereicherungsgegenstandes (in der ersten juristischen Sekunde, in der er sich im Vermögen des Bezugsberechtigten befindet) verglichen werden" müsse.
c) Widerrufliche Bezugsrechtseinräumung bei kapitalbildenden Lebensversicherungen
Rz. 138
Als zutreffenden Bewertungsmaßstab (unabhängig vom Bewertungszeitpunkt) sieht der BGH den Rückkaufswert an, und zwar ohne irgendwelche Abschläge im Hinblick auf den noch nicht eingetretenen Versicherungsfall. Soweit im Einzelfall die Möglichkeit bestanden hätte, den Versicherungsvertrag am Zweitmarkt zu verkaufen (etwa an gewerbliche Aufkäufer oder entsprechende Investmentfonds) oder aber einem Dritten gegen Entgelt ein (unwiderrufliches) Bezugsrecht einzuräumen, soll das hierbei erzielbare Entgelt maßgeblich sein.
Rz. 139
Auch wenn die geänderte Rspr. des BGH nicht ohne kritisches Echo geblieben ist, ist das Ergebnis bei wirtschaftlicher Betrachtung zutreffend. Tatsächlich sollte bei einem widerruflich eingeräumten Bezugsrecht der Wert der Zuwendung mit dem Rückkaufswert der Versicherung im Zeitpunkt unmittelbar vor dem Tod des Erblassers angesetzt werden. Dieser ...