Rz. 126

Erfolgte eine Schenkung unter dem Vorbehalt von Nutzungsrechten,[472] z.B. eines Nießbrauchs- oder Wohnungsrechts, bereitet die Feststellung des Wertes nach dem Niederstwertprinzip erhebliche Schwierigkeiten.[473] Über die Frage, ob und wie der Nießbrauch berücksichtigt werden soll, bestehen in Rspr. und Lit. unterschiedliche Auffassungen.[474] Der BGH favorisiert insoweit eine mehrstufige Berechnung.[475] In der ersten Stufe wird bestimmt, ob der Wert im Zeitpunkt der Schenkung oder im Zeitpunkt des Erbfalls niedriger und somit gem. Abs. 2 zur weiteren Berechnung heranzuziehen ist. Dabei bleiben die vorbehaltenen Nutzungsrechte unberücksichtigt (es erfolgt lediglich eine Inflationsbereinigung).[476] Ergibt diese Ermittlung, dass der Wert des Gegenstandes im Zeitpunkt der Schenkung maßgebend ist, wird in der zweiten Stufe der Wert der Zuwendung unter Berücksichtigung des Nießbrauchs – und wiederum des seitdem eingetretenen Kaufkraftschwundes – ermittelt.[477] Ist dagegen der Wert des Gegenstandes im Zeitpunkt des Erbfalls maßgebend, bleibt der Nießbrauch endgültig unberücksichtigt,[478] da der Nießbrauch nach Wegfall des Berechtigten keine Belastung mehr darstellen kann. Gleiches hat der BGH auch für die Einräumung eines Wohnrechts entschieden.[479] Die Frage, ob das Nutzungsrecht i.R.d. Schenkung vorbehalten wurde, es eine Gegenleistung des Beschenkten darstellt oder durch Erfüllung einer Auflage des Schenkers entstanden ist, spielt für die Anwendung der geschilderten Bewertungsmethode keine Rolle.[480]

 

Rz. 127

Die dargestellte Rspr. kann als gefestigt angesehen werden.[481] Nichtsdestotrotz steht die Lit.[482] der Ansicht des BGH äußerst kritisch gegenüber. Die im Einzelnen vertretenen Meinungen sind aber uneinheitlich.[483] Eine Meinung plädiert dafür, den Wert des Nießbrauchs immer abzuziehen, und zwar stets vom niedrigeren der beiden in Frage kommenden Werte.[484] Dies kann aber angesichts des ersatzlosen Untergangs der Nießbrauchsbelastung mit dem Tod des Erblassers nicht zutreffend sein;[485] ein Abzug des Nießbrauchswerts vom Wert des Grundstücks im Zeitpunkt des Erbfalls scheidet daher aus.

 

Rz. 128

Andererseits wird vertreten, dass auch bei der Ermittlung zum Zeitpunkt der Schenkung der Nießbrauch nicht zu berücksichtigen sei,[486] da im Falle der Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt ein "gestreckter Vermögenserwerb" vorliege, der sich im Zeitpunkt des Todes des Erblassers vollende. Dem ist aber im Ergebnis nicht zuzustimmen, da grundsätzlich der Zeitpunkt der dinglichen Vollziehung der Schenkung für den Wertansatz maßgeblich ist.[487] In diesem Zeitpunkt muss aber der kapitalisierte Wert vorbehaltener Nutzungsrechte auf jeden Fall berücksichtigt werden. Denn auch er hat maßgeblichen Einfluss auf einen zu diesem Zeitpunkt im Falle der Veräußerung erzielbaren Erlös, also den tatsächlichen Wert der Zuwendung.[488] Daher sind konsequenterweise der unter Berücksichtigung der Belastung ermittelte um den Kaufkraftschwund bereinigte Wert zum Zeitpunkt der Zuwendung und der Wert im Zeitpunkt des Erbfalls einander gegenüberzustellen.[489]

[472] Vgl. ausführlich Reiff, ZEV 1998, 241.
[473] Vgl. z.B. BGHZ 118, 49, 51; BGH MittBayNot 1996, 307.
[474] Vgl. nur BGH MDR 1992, 681 ff.; Dingerdissen, JZ 1993, 402 ff.
[475] BGH NJW-RR 2006, 265; BGHZ 125, 395, 397 = NJW 1994, 1791; BGHZ 118, 49, 51; BGH NJW 1992, 2887; BGH NJW 1992, 2888 = FamRZ 1992, 1071; OLG Schleswig ZEV 2009, 81, 82; vgl. auch Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 112 m.w.N.; vgl. auch Gehse, RNotZ 2009, 361, 372 ff.
[476] Vgl. Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 112.
[477] MüKo/Lange, § 2325 Rn 53.
[478] BGH ZEV 2006, 265 m. Anm. Joachim; BGH ZEV 1994, 233; BGH FamRZ 1991, 552; OLG Schleswig ZEV 2009, 81; OLG Koblenz ZErb 2006, 419; MüKo/Lange, § 2325 Rn 53 m.w.N.
[479] BGH FamRZ 1991, 552; BGH ZEV 2006, 225, 226.
[480] BGHZ 118, 49, 51; BGH NJW-RR 1990, 1158; vgl. auch OLG Koblenz ZErb 2006, 418, 419; BeckOGK/Schindler, § 2325 Rn 178.
[481] So auch Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 114.
[482] U. offenbar auch das eine oder andere Instanzgericht, vgl. OLG Celle ZErb 2002, 233, das sich ausdrücklich gegen die Rspr. des BGH wendet; ebenso OLG Celle ZErb 2003, 383.
[483] Staudinger/Olshausen [2015], § 2325 Rn 102; vgl. zum Meinungsstand Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 115 ff.
[484] Link, ZEV 2005, 283, 285 f.; Mayer, FamRZ 1994, 739, 743; ders., ZEV 1994, 325, 326; Pentz, FamRZ 1997, 724, 728; Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 117.
[485] Vgl. Rohlfing, Erbrecht, § 5 Rn 188; J. Mayer, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler/Wälzholz, HB Pflichtteilsrecht, 1. Aufl. 2003, § 8 Rn 92.
[486] OLG Hamburg FamRZ 1992, 228, aufgehoben durch BGH NJW 1992, 2888; OLG Oldenburg NJW-RR 1999, 734; Reiff, S. 230 ff.; BeckOGK/Schindler, § 2325 Rn 180; vgl. auch Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, ...

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