Rz. 126
Erfolgte eine Schenkung unter dem Vorbehalt von Nutzungsrechten, z.B. eines Nießbrauchs- oder Wohnungsrechts, bereitet die Feststellung des Wertes nach dem Niederstwertprinzip erhebliche Schwierigkeiten. Über die Frage, ob und wie der Nießbrauch berücksichtigt werden soll, bestehen in Rspr. und Lit. unterschiedliche Auffassungen. Der BGH favorisiert insoweit eine mehrstufige Berechnung. In der ersten Stufe wird bestimmt, ob der Wert im Zeitpunkt der Schenkung oder im Zeitpunkt des Erbfalls niedriger und somit gem. Abs. 2 zur weiteren Berechnung heranzuziehen ist. Dabei bleiben die vorbehaltenen Nutzungsrechte unberücksichtigt (es erfolgt lediglich eine Inflationsbereinigung). Ergibt diese Ermittlung, dass der Wert des Gegenstandes im Zeitpunkt der Schenkung maßgebend ist, wird in der zweiten Stufe der Wert der Zuwendung unter Berücksichtigung des Nießbrauchs – und wiederum des seitdem eingetretenen Kaufkraftschwundes – ermittelt. Ist dagegen der Wert des Gegenstandes im Zeitpunkt des Erbfalls maßgebend, bleibt der Nießbrauch endgültig unberücksichtigt, da der Nießbrauch nach Wegfall des Berechtigten keine Belastung mehr darstellen kann. Gleiches hat der BGH auch für die Einräumung eines Wohnrechts entschieden. Die Frage, ob das Nutzungsrecht i.R.d. Schenkung vorbehalten wurde, es eine Gegenleistung des Beschenkten darstellt oder durch Erfüllung einer Auflage des Schenkers entstanden ist, spielt für die Anwendung der geschilderten Bewertungsmethode keine Rolle.
Rz. 127
Die dargestellte Rspr. kann als gefestigt angesehen werden. Nichtsdestotrotz steht die Lit. der Ansicht des BGH äußerst kritisch gegenüber. Die im Einzelnen vertretenen Meinungen sind aber uneinheitlich. Eine Meinung plädiert dafür, den Wert des Nießbrauchs immer abzuziehen, und zwar stets vom niedrigeren der beiden in Frage kommenden Werte. Dies kann aber angesichts des ersatzlosen Untergangs der Nießbrauchsbelastung mit dem Tod des Erblassers nicht zutreffend sein; ein Abzug des Nießbrauchswerts vom Wert des Grundstücks im Zeitpunkt des Erbfalls scheidet daher aus.
Rz. 128
Andererseits wird vertreten, dass auch bei der Ermittlung zum Zeitpunkt der Schenkung der Nießbrauch nicht zu berücksichtigen sei, da im Falle der Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt ein "gestreckter Vermögenserwerb" vorliege, der sich im Zeitpunkt des Todes des Erblassers vollende. Dem ist aber im Ergebnis nicht zuzustimmen, da grundsätzlich der Zeitpunkt der dinglichen Vollziehung der Schenkung für den Wertansatz maßgeblich ist. In diesem Zeitpunkt muss aber der kapitalisierte Wert vorbehaltener Nutzungsrechte auf jeden Fall berücksichtigt werden. Denn auch er hat maßgeblichen Einfluss auf einen zu diesem Zeitpunkt im Falle der Veräußerung erzielbaren Erlös, also den tatsächlichen Wert der Zuwendung. Daher sind konsequenterweise der unter Berücksichtigung der Belastung ermittelte um den Kaufkraftschwund bereinigte Wert zum Zeitpunkt der Zuwendung und der Wert im Zeitpunkt des Erbfalls einander gegenüberzustellen.