Rz. 129
Der Nießbrauch ist mit seinem kapitalisierten Jahreswert in Ansatz zu bringen. Dabei ist als Jahreswert der nachhaltig erzielbare Nettoertrag – also nach Berücksichtigung der anfallenden Bewirtschaftungs- und Erhaltungsaufwendungen – anzusetzen. Teilweise wird im Hinblick auf die mit einem lebenslangen Nutzungsrecht für den Inhaber verbundene subjektiv empfundene Sicherheit ein Aufschlag für gerechtfertigt gehalten. Der BGH hält aber dessen ungeachtet zu Recht die Bewertung eines Wohnungsrechts auf der Grundlage des (betrieblichen) Mietwerts für angemessen. Soweit der Nutzungsberechtigte Lasten und Aufwendungen im Zusammenhang mit der Immobilie zu tragen hat, muss auch dies in die Bewertung einfließen.
Wird die Immobilie – teilweise – selbst genutzt, ist der Jahreswert entsprechend zu schätzen. Die entscheidende Frage ist aber, auf welche Weise die Kapitalisierung erfolgen soll, aus einer ex-ante- oder einer ex-post-Perspektive.
Rz. 130
Nach der Rspr. ist grundsätzlich von einer "abstrakten" Berechnungsmethode – ex ante – auszugehen, so dass für die Kapitalisierung die statistische Lebenserwartung des Nießbrauchsberechtigten zum Zeitpunkt der Zuwendung (Vollzug der Schenkung) zugrunde zu legen ist. Diese konnte früher (bis Ende 2008) nach Anlage 9 zu § 14 BewG, auf Grundlage der Sterbetafeln des Statistischen Bundesamtes unter Berücksichtigung finanzmathematischer Grundsätze oder nach § 12 Abs. 3 BewG erfolgen. Im Zuge der Reform des Erbschaftsteuerrechts zum 1.1.2009 ist Anlage 9 zu § 14 BewG weggefallen. Die Bewertung lebenslänglicher Nutzungen bzw. Leistungen für erbschaft- und schenkungsteuerrechtliche Zwecke richtet sich seitdem nach den jährlich herausgegebenen BMF-Schreiben. Wesentlich ist aber, dass im Hinblick auf die teilweise hinausgeschobene Fälligkeit der geschuldeten Nutzungsüberlassung eine Abzinsung stattzufinden hat.
Dabei den steuerrechtlich vorgesehenen Zinssatz von 5,5 % anzusetzen, erscheint insbesondere angesichts des aktuellen Zinsniveaus nicht angemessen. Es sollte daher eher auf tatsächlich angemessene Zinssätze im jeweils maßgeblichen Bewertungszeitpunkt abgestellt werden.
Rz. 131
Andere favorisieren hingegen für die Kapitalisierung eine ex-post-Betrachtung. Sie wollen die Bewertung an der konkreten Dauer des Nießbrauchs orientieren. Diese Auffassung wird seitens der Rspr. jedenfalls für die Konstellationen geteilt, in denen im konkreten Fall bereits zum Zeitpunkt der Zuwendung eine kürzere Lebenserwartung des Nießbrauchsberechtigten als wahrscheinlich erscheint, z.B. wenn die Bestellung zugunsten eines der Zuwendungsempfänger erfolgt, der zu diesem Zeitpunkt bereits schwer erkrankt ist. Diese Sichtweise verkennt allerdings den Grundsatz der subjektiven Äquivalenz. Soweit nicht mit einem vorzeitigen Ableben des nießbrauchsberechtigten Schenkers zu rechnen ist, haben im Zeitpunkt der Vereinbarung beide Parteien regelmäßig die Vorstellung (bzw. Hoffnung/Befürchtung), dass die Dauer des Nießbrauchsrechts nicht kürzer sein wird, als nach den aktuellen Sterbetafeln zu erwarten ist. Von dieser Annahme geht auch "der Markt" bei der Bewertung vorbehaltener Nießbrauchsrechte aus. Vor diesem Hintergrund ist die ex-post-Betrachtung im Ergebnis – auch in den von der Rspr. entschiedenen Ausnahmefällen – für die Bewertung vorbehaltener Nießbrauchs- bzw. sonstiger Nutzungsrechte nicht geeignet.
Rz. 132
Wurde der Nießbrauch nur zu Sicherungszwecken bestellt, kam aber mangels Eintritts des Sicherungsfalls nie zum Tragen, ist er beim Pflichtteilsergänzungsanspruch gar nicht zu berücksichtigen, da er den Zuwendungsempfänger zu keinem Zeitpunkt wirtschaftlich belastet hat.