Rz. 121

Für nicht verbrauchbare Gegenstände,[445] insbesondere Immobilien und Unternehmensbeteiligungen,[446] gilt das sog. Niederstwertprinzip[447] des Abs. 2 S. 2. Dementsprechend sind die Werte des verschenkten Gegenstandes zum Zeitpunkt der Schenkung (bei Grundstücken: Eigentumsumschreibung im Grundbuch)[448] und zum Zeitpunkt des Erbfalls miteinander zu vergleichen, wobei der Wert im Zeitpunkt der Schenkung anhand des Lebenshaltungskostenindexes (heute: VPI)[449] auf den Zeitpunkt des Erbfalls zu indexieren ist.[450] Der niedrigere Wert ist dann der Berechnung des Ergänzungsanspruchs zugrunde zu legen.[451] Konsequenz dieser Regelung ist, dass Wertsteigerungen, die zwischen dem Zeitpunkt der Ausführung der Schenkung und dem Erbfall eintreten, dem Pflichtteilsberechtigten nicht zugutekommen und – umgekehrt betrachtet – den Pflichtteilsschuldner nicht belasten. Andererseits wird der Pflichtteilsergänzungsberechtigte aber am Risiko einer zwischenzeitlichen Wertverringerung beteiligt.[452] Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der Berechtigte stets nur um den Betrag "geschädigt" sein könne, dessen sich der Erblasser selbst unentgeltlich entäußert habe.[453]

 

Rz. 122

Ist eine nicht verbrauchbare Sache zwischen Schenkung und Erbfall untergegangen, kann eine Bewertung nach Abs. 2 S. 2 nicht mehr stattfinden. Voraussetzung einer Berücksichtigung i.R.d. Pflichtteilsergänzung ist daher, dass die Sache im Zeitpunkt des Erbfalls noch vorhanden ist, entweder beim Beschenkten oder bei einem Dritten.[454] Auch wenn es im Falle des zwischenzeitlichen Untergangs auf die Frage des Verschuldens nicht entscheidend ankommt, kann im Einzelfall ein an die Stelle des Pflichtteilsergänzungsanspruchs tretender Schadensersatzanspruch des Pflichtteilsberechtigten treten.[455] Hat der Beschenkte den Zuwendungsgegenstand zwischenzeitlich gegen Entgelt veräußert, hat die Höhe dieses Entgelts auf die Bewertung grundsätzlich keinen Einfluss.[456] Werterhöhende Investitionen des Beschenkten, die sich im Zeitpunkt des Erbfalls werterhöhend auswirken, sind bei der Bewertung auf den Erbfall zu korrigieren.[457]

 

Rz. 123

Der BGH[458] wendet systemwidrig das Niederstwertprinzip auch auf beim Tod des Erblassers noch nicht vollzogene Schenkungsversprechen an. Demnach soll auch hier ein Wertvergleich durchgeführt und dabei auf den Zeitpunkt des Schenkungsversprechens abgestellt werden. Bewertungsgegenstand sei hier nicht das – noch nicht geleistete – Geschenk, sondern vielmehr der zugewendete Anspruch.[459] Diese Sichtweise ist durch den klaren Wortlaut des Gesetzes nicht gedeckt. Gem. Abs. 2 S. 2, kommen als Vergleichszeitpunkte nur der Erbfall und die Ausführung der Schenkung, nicht aber die bloße Abgabe eines Schenkungsversprechens in Betracht.[460] Mithin ist in Fällen der hier diskutierten Art allein auf den Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen. Anders kann sich die Lage aber darstellen, wenn Gegenstand der Schenkung ein Anwartschaftsrecht (auf späteren Eigentumserwerb) sein sollte.[461]

[445] Deren Wert im Grunde nur durch Veräußerung realisiert werden kann, vgl. Reimann, ZEV 2018, 198, 199.
[446] Auch in Form von börsennotierten Aktien, soweit es sich bei diesen nicht um spekulative Anlagen handelt, BeckOGK/Schindler, § 2325 Rn 162. Vgl. für KG-Beteiligung BGH NJW 1982, 2497, 2498; OLG Oldenburg ErbR 2014, 551, 552; vgl. für GmbH BGH NJW 1982, 2497, 2498.
[447] Staudinger/Olshausen [2015], § 2325 Rn 95.
[448] BGHZ 65, 75 = NJW 1975, 1831; bei Gesellschaftsanteilen deren Übergang, BGH NJW 1993, 2737, 2738.
[449] www.destatis.de.
[450] BGHZ 65, 75; OLG Koblenz ZErb 2006, 419.
[451] Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 9 Rn 78; Palandt/Weidlich, § 2325 Rn 19.
[452] BeckOGK/Schindler, § 2325 Rn 163; Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 9 Rn 79.
[453] Prot. V, S. 583 f.; Staudinger/Olshausen [2015], § 2325 Rn 96; MüKo/Lange, § 2325 Rn 49.
[454] OLG Brandenburg FamRZ 1998, 1177; MüKo/Lange, § 2325 Rn 49; Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, § 2325 Rn 84.
[455] Vgl. Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 105.
[456] Staudinger/Olshausen [2015], § 2325 Rn 99; MüKo/Lange, § 2325 Rn 49; Soergel/Dieckmann, § 2325 Rn 49; a.A. BeckOGK/Schindler, § 2325 Rn 166 unter Hinweis auf OLG Schleswig ZEV 2014, 260, 264; offenlassend OLG Oldenburg ErbR 2014, 551, 552.
[457] Staudinger/Olshausen [2015], § 2325 Rn 99; BeckOGK/Schindler, § 2325 Rn 164 unter Hinweis auf BGH NJW 1992, 2887, 2888; Pawlytta, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 7 Rn 102; vgl. auch Pentz, ZEV 1999, 335.
[458] BGHZ 85, 274, 283 = NJW 1983, 1458, 1486; ebenso OLG Brandenburg FamRZ 1998, 1265, 1266; unklar: BGH NJW 1993, 2737, 2738. Ob diese Sichtweise nach der Entscheidung BGH ZErb 2010, 189 f. (Ansatz eines widerruflichen Bezugsrechts auf eine Lebensversicherung mit dem Rückkaufswert zum Todeszeitpunkt) noch aufrechterhalten werden wird, ist aber fraglich.
[459] Vgl. auch OLG Schleswig ZErb 2006, 417 = ZEV 2007, 277 m. Anm. Schindler.
[460] Ebenso Pawlytta, in...

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