Rz. 113
Grundsätzlich wird man festhalten können, dass eine doppelte Berücksichtigung ausgleichungspflichtiger Zuwendungen – zum einen im Rahmen der Ausgleichung, zum anderen zur Rechtfertigung eines Pflichtteilsergänzungsanspruchs – im Ergebnis nicht in Frage kommen kann. Ausgleichungspflichtige Zuwendungen werden in die Bestimmung des Ausgleichungsnachlasses einbezogen und wirken sich dadurch bei der Berechnung des ordentlichen Pflichtteilsanspruchs aus. Ihre nochmalige Berücksichtigung beim Pflichtteilsergänzungsanspruch ist daher nicht gerechtfertigt.
Rz. 114
Handelt es sich bei der ausgleichungspflichtigen Zuwendung gleichzeitig auch um eine Schenkung, so unterliegt nach BGH nur der bei der Ausgleichung nach §§ 2050 ff., 2316 BGB nicht berücksichtigte Betrag der Pflichtteilsergänzung. Der BGH und die herrschende Lehre berechnen danach den Pflichtteilsergänzungsanspruch wie folgt: Zunächst werden die Vorempfänge und Schenkungen dem Nachlass hinzuaddiert, danach mit der Erbquote des Pflichtteilsberechtigten multipliziert und sein Vorempfang abgezogen; der so errechnete Ausgleichungserbteil wird schließlich halbiert. Von dem so ermittelten Gesamtpflichtteil ist dann der ordentliche Pflichtteil in Abzug zu bringen, um den Pflichtteilsergänzungsanspruch zu ermitteln. Auf diese Weise kommt es tendenziell zu einer Begünstigung des Pflichtteilsberechtigten, der eher mit einer Zahlung des Empfängers der ausgleichungspflichtigen Zuwendung rechnen kann als bei bloßer Durchführung der Ausgleichung. Es besteht daher die Gefahr, dass dem Zuwendungsempfänger trotz der Regelung des § 2056 S. 1 BGB (wertmäßig) nicht die volle Zuwendung verbleibt, da er – ggf. als Beschenkter nach § 2329 BGB – auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch zu leisten hat. Außerdem erhöht sich durch die Anwendung von § 2056 S. 2 BGB die Pflichtteilsquote der nicht bedachten Geschwister, wodurch auch deren (quotenmäßige) Pflichtteilsberechtigung zusätzlich ansteigt.
Rz. 115
Will man dieser doppelten Berücksichtigung des Vorempfangs entgegenwirken und gleichzeitig vermeiden, dass es zu einer Herausgabe des Vorempfangs entgegen § 2056 kommt, bleibt letztlich nur eine sog. getrennte Berechnungsweise: Für die Frage, ob bei ausgleichungspflichtigen Zuwendungen unter Abkömmlingen ein zusätzlicher Pflichtteilsergänzungsanspruch in Betracht kommt, muss dabei vorab geprüft werden, ob der ausgleichungspflichtige Vorempfang (der gleichzeitig eine Schenkung darstellt) bei der Berechnung der Ausgleichung nach §§ 2050 ff., 2316 BGB bereits vollständig berücksichtigt wurde. Ist der Vorempfang höher als der nach § 2055 BGB ermittelte Ausgleichungserbteil, findet eine vollständige Ausgleichung wegen § 2056 Abs. 1 S. 2 BGB nicht statt. In diesem Fall ist der Mehrempfang, also der bei der Ausgleichung nicht verbrauchte Teil der Schenkung, zur Pflichtteilsergänzung heranzuziehen. Wurde die Zuwendung bereits bei der Ausgleichung voll berücksichtigt, scheidet ein Pflichtteilsergänzungsanspruch aber aus.