Rz. 144

Soweit es sich bei dem Versicherungsverhältnis um eine reine Risikolebensversicherung handelt, existiert kein Rückkaufswert. Leistungsansprüche gegenüber der Versicherungsgesellschaft bestehen erst bei Eintritt des Versicherungsfalls, also beim Tod der versicherten Person. Dies führt – auf den ersten Blick – zu dem Dilemma, dass im Zeitpunkt der Bezugsrechtseinräumung (gleichgültig ob widerruflich oder unwiderruflich) kein Rückkaufswert ermittelt werden kann. Nichtsdestotrotz ist die Bezugsrechtszuwendung auch bei einer reinen Risikoversicherung nicht zwingend ohne Wert. Dies belegt bereits der Umstand, dass auch (ja sogar gerade) Risikolebensversicherungen durchaus auf dem Zweitmarkt gehandelt werden.[535] Nach den Vorgaben des BGH im Zusammenhang mit kapitalbildenden Lebensversicherungen (vgl. ausführlich oben) muss ein möglicher Verkaufserlös auch hier maßgeblich sein.[536] Entgegen der Auffassung des BGH[537] ist aber auch in diesem Zusammenhang der individuellen Situation des Erblassers, insbesondere der konkret bestehenden Lebenserwartung, Rechnung zu tragen. Der sowohl für die Bewertung im Rahmen des Niederstwertprinzips (Abs. 2) als auch für den Beginn der Zehnjahresfrist des Abs. 3 maßgebliche Zeitpunkt ist bei der widerruflichen Bezugsrechtseinräumung die juristische Sekunde vor dem Tod des Erblassers, im Falle eines unwiderruflichen Bezugsrechts der Zeitpunkt dessen Vereinbarung.[538]

Ob der BGH der Argumentationslinie seiner Entscheidung v. 28.4.2010 treu bleiben und reine Risikolebensversicherungen entsprechend den soeben skizzierten Grundsätzen behandeln wird, bleibt indes abzuwarten, da nach diesen Grundsätzen der Schuldner des Pflichtteilsergänzungsanspruchs in den meisten Fällen noch deutlich günstiger stehen dürfte als unter Heranziehung der vom Erblasser gezahlten Prämien[539] entsprechend der bisherigen Rspr.[540]

[535] Allerdings in Deutschland nur ausnahmsweise, Gutachten DNotI-Report 2013, 130, 131.
[536] Ungeachtet der hiermit unstreitig verbundenen Schwierigkeiten bei der konkreten Wertermittlung.
[537] BGH ZErb 2010, 189, 193.
[538] Hinsichtlich der Behandlung später noch vom Erblasser gezahlter Versicherungsprämien gelten die obigen Ausführungen zur kapitalbildenden Lebensversicherung entsprechend.
[540] Vgl. hierzu auch Herrler, ZEV 2010, 333, 338.

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