Rz. 2
Anspruchsinhaber kann nur sein, wer – abstrakt – dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten angehört. Das Bestehen eines ordentlichen Pflichtteilsanspruchs ist nicht erforderlich. Daher können auch für den gesetzlichen Erben oder sogar den zum Alleinerben (insoweit allerdings nur über § 2329 BGB, da der Alleinerbe natürlich nur gegenüber dem Beschenkten und nicht gegenüber sich selbst Ansprüche geltend machen kann; nichtsdestotrotz setzt § 2329 BGB aber zunächst das Vorliegen des Tatbestandes des § 2325 BGB voraus) Eingesetzten durchaus Pflichtteilsergänzungsansprüche in Betracht kommen. Voraussetzung ist lediglich, dass der Anspruchsteller weniger erhält, als der Summe aus Ergänzungspflichtteil und ordentlichem Pflichtteil (Gesamtpflichtteil) entspricht. Das gilt natürlich auch für den pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer.
Rz. 3
Auch der Pflichtteilsergänzungsanspruch unterliegt den Regelungen des § 2309 BGB, so dass entferntere Pflichtteilsberechtigte (Eltern und Abkömmlinge) durch nähere ausgeschlossen werden, soweit der nach § 2309 BGB Weggefallene selbst den Ergänzungsanspruch geltend machen kann oder das ihm Hinterlassene annimmt. Im Übrigen führt eine ansonsten pflichtteilsschädliche Ausschlagung nie zum Verlust des Pflichtteilsergänzungsanspruchs; es kann höchstens zu einer Minderung um den in § 2326 S. 2 BGB bezeichneten Mehrwert kommen.
Rz. 4
Nach der früheren Rspr. des BGH bezog sich der Schutzzweck des § 2325 BGB nur auf solche Personen, die sowohl im Zeitpunkt der Schenkung als auch beim Erbfall zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählten, sog. Doppelberechtigung des Pflichtteilsergänzungsberechtigten. Diese Theorie stützte sich auf den Gedanken, dass durch § 2325 BGB lediglich eine Art Bestandsschutz erreicht werden solle. Verschenkten Vermögenswerten, die vor dem Entstehen der abstrakten Pflichtteilsberechtigung des Betroffenen zum Vermögensbestand des (späteren) Erblassers gehört hätten und bei Eintritt der abstrakten Pflichtteilsberechtigung bereits abgeflossen gewesen seien, käme insoweit keine Bedeutung zu. Der Pflichtteilsberechtigte hätte nämlich bzgl. solcher Gegenstände zu keinem Zeitpunkt eine berechtigte Erberwartung gehabt. Eine Person, die erst nach einer Schenkung die pflichtteilsrechtliche Legitimation erwerbe, kenne keine anderen Vermögensverhältnisse als diejenigen nach der Schenkung und sei daher auch nicht schützenswert i.S.d. §§ 2325 ff. BGB. Aufgrund dieser Rspr. konnten bspw. Ehegatten nur bzgl. nach der Heirat vom anderen Ehegatten getätigter Schenkung Pflichtteilsergänzungsansprüche zustehen. Auch Pflichtteilsergänzungsansprüche ehelicher Kinder konnten nur durch solche Schenkungen der Eltern ausgelöst werden, die nach deren Eheschließung erfolgt waren, es sei denn, das ergänzungsberechtigte Kind war schon vor der Eheschließung gezeugt. Und Adoptivkinder konnten Pflichtteilsergänzungsansprüche nur wegen solcher Schenkungen geltend machen, die nach ihrer Adoption erfolgt waren.
Rz. 5
Mit dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift des § 2325 BGB war diese Rspr. aber nicht vereinbar. Der im ersten Entwurf zum BGB enthaltene Aspekt, nach welchem die Pflichtteilsergänzungsberechtigung im Zeitpunkt der Schenkung vorliegen sollte, wurde von der zweiten Kommission entschieden abgelehnt. Auch in der Lit. wurde das Petitum der Doppelberechtigung überwiegend abgelehnt.
Rz. 6
Im Jahr 2012 hat erfreulicherweise auch der BGH seine Einstellung revidiert und die Theorie der Doppelberechtigung – für Abkömmlinge als Ergänzungsberechtigte – ausdrücklich aufgegeben. Das tragende Argument der Entscheidung ist, dass es für die (bisherige) Forderung nach einer Pflichtteilsberechtigung nicht nur zum Zeitpunkt des Erbfalls, sondern auch zur Zeit der Schenkung keinen Anhaltspunkt im Gesetz gibt. Voraussetzung für den Pflichtteilsergänzungsanspruch ist demnach nur noch, dass der Anspruchsteller zum Zeitpunkt des Erbfalls zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen gehört; wann er diese Eigenschaft erworben hat (vor oder nach der in Rede stehenden Schenkung), spielt hingegen keine Rolle (mehr).
Auch wenn sich der BGH in seiner Entscheidung lediglich zu den Pflichtteilsansprüchen von Abkömmlingen des Erblassers geäußert hat, sind die Grundsätze der Entscheidung für alle Pflichtteilsberechtigten anzuwenden. Sie gelten umfassend. Dies gilt umso mehr, als die Argumente, die die Theorie von der Doppelberechtigung ursprünglich stützten, im Ergebnis nach wie vor unhaltbar sind und es schon gar nicht einzusehen wäre, diese nun für bestimmte Pflichtteilsberechtigte wiederzubeleben bzw. aufrechtzuerhalten.