Rz. 14
Ist ein Eigengeschenk gleichzeitig anrechnungspflichtig i.S.d. § 2315 BGB, so muss sich der Empfänger die Schenkung auf den Gesamtbetrag von Pflichtteil und Ergänzung anrechnen lassen, Abs. 1 S. 2. Zur Berechnung des Wertes des Eigengeschenks ist § 2315 Abs. 2 S. 2 BGB heranzuziehen, so dass das Niederstwertprinzip nicht gilt. Fraglich ist, wie die Anrechnung zu erfolgen hat. Rspr. zu diesem Problem ist nicht bekannt. Über die Frage der Anrechnungsmethode wird in der Lit. gestritten. Es kann zunächst festgehalten werden, dass sämtliche Vorschläge zur Anrechnungsmethode zu demselben Ergebnis gelangen.
Rz. 15
Am einfachsten dürfte die von Olshausen vorgeschlagene Rechenvariante sein: Hiernach werden dem Nachlass zunächst sämtliche Fremd- und Eigengeschenke hinzugerechnet. Anschließend wird der Gesamtpflichtteil gebildet und hiervon die Eigenschenkung abgezogen. Nach a.A. ist vorrangig der ordentliche Pflichtteil unter Berücksichtigung von § 2315 BGB zu ermitteln. Danach wird der Pflichtteilsergänzungsanspruch unter Zugrundelegung sämtlicher Fremdschenkungen errechnet. Auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch wird die Eigenschenkung angerechnet, sofern sie noch nicht durch die Anrechnung auf den ordentlichen Pflichtteil verbraucht wurde. Dieser Anrechnungsbetrag wird durch Vergleich des Wertes der Eigenschenkung mit dem Wert eines "fiktiven" Pflichtteils, berechnet aus Nachlass zzgl. Eigengeschenk ohne Fremdschenkungen, ermittelt.
Rz. 16
Abgesehen davon, dass diese Rechenmethode sehr kompliziert ist, können die von den §§ 2315, 2325 BGB vorgegebenen Berechnungsverfahren nicht immer eingehalten werden. Am sachgerechtesten erscheint der von Dieckmann vorgeschlagene Rechenweg, der vom Grundfall des Abs. 1 S. 1 ausgeht, da diese Variante die Berechnungsverfahren der §§ 2315, 2325 BGB konsequent anwendet. Dieckmann geht von folgender Überlegung aus: Ist ein Eigengeschenk nicht anrechnungspflichtig i.S.d. § 2315 BGB, entspricht der Ergänzungspflichtteil des eigenbeschenkten Pflichtteilsberechtigten der Differenz zwischen dem nach Abs. 1 S. 1 berechneten Gesamtpflichtteil und dem ordentlichen Pflichtteil gem. §§ 2303, 2311 BGB.
Rz. 17
Ist das Eigengeschenk zusätzlich anrechnungspflichtig i.S.d. § 2315 BGB, kann der Ergänzungspflichtteil unter Berücksichtigung der vorgegebenen Berechnungsverfahren der §§ 2315, 2325 BGB nur der Differenz zwischen nach Abs. 1 S. 1 ermitteltem Gesamtpflichtteil und ordentlichem Pflichtteil gem. §§ 2303, 2315 BGB entsprechen.
Beispiel*
Nachlass 100.000 EUR. Freund D ist Alleinerbe. Der einzige Sohn S des Erblassers E hat ein gem. § 2315 BGB anrechnungspflichtiges Geschenk i.H.v. 40.000 EUR erhalten. Beschenkt wurde außerdem D i.H.v. 60.000 EUR.
Gesamtpflichtteil für S:
(100.000 EUR + 60.000 EUR + 40.000 EUR) : 2 – 40.000 EUR = 60.000 EUR
Ordentlicher Pflichtteil, §§ 2303, 2315 BGB:
140.000 EUR : 2 – 40.000 EUR = 30.000 EUR
Ergänzungspflichtteil:
60.000 EUR – 30.000 EUR = 30.000 EUR
* nach Soergel/Dieckmann, § 2327 Rn 8–11
Rz. 18
Die Frage der Anrechnungsmethode und insbesondere die Frage, ob das Eigengeschenk vom ordentlichen Pflichtteil oder Pflichtteilsergänzungsanspruch in Abzug zu bringen ist, ist in den Fällen zur Ermittlung des Anspruchsgegners relevant, in denen der Nachlass zur Deckung von ordentlichem Pflichtteil und Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht ausreicht. Wegen des ordentlichen Pflichtteils kann sich der Pflichtteilsberechtigte nur an den Nachlass halten; wegen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs kann er auf den Beschenkten durchgreifen.