I. Konkreter Pflichtteil
Rz. 3
Der pflichtteilsberechtigte Erbe kann mit der Einrede seinen "konkreten Pflichtteil" verteidigen. Hierunter fällt derjenige Betrag, der sich für den ordentlichen Pflichtteil nach Anrechnung und Ausgleichung, §§ 2315, 2316 BGB, und für den Ergänzungspflichtteil unter Anwendung der §§ 2325, 2327 BGB errechnet, d.h. im Rahmen der Berechnung sind alle Eigengeschenke zu berücksichtigen, die der pflichtteilsberechtigte Erbe vom Erblasser erhalten hat.
Rz. 4
Für die Berechnung des Pflichtteils des überlebenden Ehegatten ist von dem nach § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten Erbteil auszugehen, ebenso für den überlebenden Lebenspartner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft im Vermögensstand der Ausgleichungsgemeinschaft, §§ 6, 10 Abs. 6 S. 2 LPartG.
Rz. 5
Aus dem Wortlaut der Vorschrift ("gebühren würde") ergibt sich, dass der Kürzungsbetrag des § 2326 S. 2 BGB i.R.d. Berechnung der Einrede nicht abgezogen werden darf. Es kann hier nicht auf die Höhe des tatsächlichen Pflichtteilsergänzungsanspruchs ankommen. Als Gesamtpflichtteil ist vielmehr derjenige Betrag zu ermitteln, der dem pflichtteilsberechtigten Erben gebühren würde, wenn er nicht Erbe geworden wäre. Ansonsten wäre der pflichtteilsberechtigte Erbe benachteiligt. Konsequenterweise ist § 2327 BGB i.R.d. Berechnung der Einrede zu berücksichtigen. Dies kann dazu führen, dass der Pflichtteilsberechtigte nur seinen ordentlichen Pflichtteil gegenüber dem Ergänzungsanspruch eines weiteren Pflichtteilsberechtigten verteidigen kann.
II. Voraussetzungen
Rz. 6
Es muss Pflichtteilsergänzung verlangt werden. Das Verlangen des ordentlichen Pflichtteils reicht nicht. Der Anspruch muss sich an einen pflichtteilsberechtigten Erben, als Alleinerben oder Miterben, richten, wobei insoweit die abstrakte Pflichtteilsberechtigung genügt.
Rz. 7
Umstritten ist die Frage, wie sich ein Pflichtteilsverzicht auf das Leistungsverweigerungsrecht auswirkt: Teilweise wird vertreten, dass ein Pflichtteilsverzicht immer zum Verlust der Einrede führe. Um dies zu vermeiden, müsse der Verzicht eingeschränkt und unter Vorbehalt der Einrede erklärt werden. Nach anderer Auffassung ist diese Begründung nicht haltbar, da materielles Recht und Verfahrensrecht verwechselt würden. § 2328 BGB enthalte eine "dynamische Verweisung" auf das materielle Recht. Wenn der Pflichtteil infolge des Verzichts wegfiele, nütze ein verfahrensrechtlicher Vorbehalt nichts mehr.
III. Zeitpunkt der Berechnung
Rz. 8
Für die Berechnung der Einrede ist auf den Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen. Der Wert des Pflichtteils wird zum Zeitpunkt des Erbfalls ermittelt, § 2311 BGB. Für den Pflichtteilsergänzungsanspruch kann wegen des Niederstwertprinzips des § 2325 Abs. 2 BGB allenfalls noch auf den Wert im Zeitpunkt der Schenkung abgestellt werden. Umstände aus der Zeit nach dem Erbfall sind i.d.R. nicht erheblich. Kommt es nach dem Erbfall zu einem Wertverfall des Nachlasses, hätte der Erbe jedoch die Pflichtteilsergänzungsansprüche Dritter zum Zeitpunkt des Erbfalls erfüllen können, so ist fraglich, ob er auch in diesem Fall seinen konkreten Pflichtteil verteidigen darf.
Rz. 9
Nach der Rspr. des BGH ist dies der Fall. Der Erbe kann entsprechend § 1990 BGB die Dürftigkeitseinrede erheben und darf seinen Gesamtpflichtteil vorneweg aus dem Nachlass entnehmen, §§ 1978 Abs. 3, 1991 Abs. 1 BGB. Nach dieser Rspr. des BGH ist der Nachlass bereits dürftig, wenn seine Werthaltigkeit gerade noch zur Befriedigung des Gesamtpflichtteils des pflichtteilsberechtigten Erben ausreicht. Die Rspr. des BGH ist mit dem Stichtagsprinzip des § 2311 BGB nicht zu vereinbaren, nach welchem Wertveränderungen des Nachlasses grundsätzlich in den Risikobereich des Erben fallen. Wertschwankungen wirken sich auf die Höhe des ordentlichen Pflichtteils somit nicht aus. Die Rspr. des BGH führt zu einer Ungleichbehandlung der "Haftung des pflichtteilsberechtigten Erben in Bezug auf ordentlichen Pflichtteil und Pflichtteilsergänzungsanspruch". Der pflichtteilsberechtigte Erbe könnte die Durchsetzbarkeit der Pflichtteilsergänzungsansprüche dritter Personen durch Einflussnahme auf den Nachlass manipulieren. Wertsteigerungen des Nachlasses haben keinen Einfluss auf Umfang und Bestehen der Einrede.