Gesetzestext
(1)1Der Erbe kann Stundung des Pflichtteils verlangen, wenn die sofortige Erfüllung des gesamten Anspruchs für den Erben wegen der Art der Nachlassgegenstände eine unbillige Härte wäre, insbesondere wenn sie ihn zur Aufgabe des Familienheims oder zur Veräußerung eines Wirtschaftsguts zwingen würde, das für den Erben und seine Familie die wirtschaftliche Lebensgrundlage bildet. 2Die Interessen des Pflichtteilsberechtigten sind angemessen zu berücksichtigen.
(2)1Für die Entscheidung über eine Stundung ist, wenn der Anspruch nicht bestritten wird, das Nachlassgericht zuständig. 2§ 1382 Abs. 2 bis 6 gilt entsprechend; an die Stelle des Familiengerichts tritt das Nachlassgericht.
A. Allgemeines
Rz. 1
Die rücksichtslose Geltendmachung des Pflichtteils kann für den Erben eine außerordentliche Härte bedeuten und zudem volkswirtschaftlich schädlich sein, wenn die Gefahr besteht, dass im Nachlassvermögen befindliche Wirtschaftseinheiten, wie etwa Unternehmen, insbesondere durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zerschlagen werden. Die Stundung dient dem wohlverstandenen Interessensausgleich zwischen Erbe und Pflichtteilsberechtigtem. Allerdings hatte sie bis zur Reform des Erb- und Verjährungsrechtes nur eine unwesentliche Bedeutung, zumal sie nur von einem eingeschränkten Personenkreis verlangt werden konnte und die Anforderungen an die Stundung des Pflichtteilsanspruches ungewöhnlich hoch waren. Im Rahmen der Reform wurde der Personenkreis der Antragsberechtigten erweitert und die sachlichen Anforderungen an die Stundung erleichtert.
B. Tatbestand
I. Anwendungsbereich
Rz. 2
Die Vorschrift ist anwendbar auf den ordentlichen Pflichtteilsanspruch gem. §§ 2303, 2305, 2307 BGB und den Pflichtteilsergänzungsanspruch gem. §§ 2325 ff. BGB, der sich gegen den nur beschränkt haftenden pflichtteilsberechtigten Erben richtet, nicht jedoch den Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2329 BGB, unabhängig davon, ob hierfür der Beschenkte oder der Erbe selbst haftet.
II. Stundungsberechtigte
Rz. 3
Die Stundung kann von jedem Erben verlangt werden. Auch der Nachlasspfleger (§§ 1960, 1961 BGB), der Nachlassverwalter (§ 1984 BGB) und der Insolvenzverwalter können die Stundung verlangen, nicht jedoch der Testamentsvollstrecker.
Bei Vorhandensein mehrerer Miterben sind die Voraussetzungen der Stundung für jeden Miterben einzeln zu prüfen.
Eine dem einzelnen Miterben gewährte Stundung kommt auch den anderen Miterben zugute.
III. Antragsgegner
Rz. 4
Antragsgegner ist ein Pflichtteilsberechtigter, der seinen Pflichtteilsanspruch gegen den Erben durchsetzen will, also den Pflichtteil geltend macht. Werden Pflichtteilsansprüche von mehreren Berechtigten geltend gemacht, muss der pflichtteilsberechtigte Erbe die Stundung jedes einzelnen Anspruchs beantragen. Die Anträge müssen nicht einheitlich beschieden werden.
IV. Voraussetzungen
Rz. 5
Voraussetzung für die Stundung ist einerseits, dass die sofortige Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs für den Antragsteller eine unbillige Härte bedeuten würde. Andererseits müssen die Interessen des Pflichtteilsberechtigten angemessen berücksichtigt werden.
1. Unbillige Härte für den Erben
Rz. 6
Ein Antrag auf Stundung kann nur positiv beschieden werden, wenn die sofortige Erfüllung des Anspruchs den Erben wegen der Art der Nachlassgegenstände unbillig hart treffen würde, Abs. 1 S. 1. Wann eine solche unbillige Härte vorliegt, hat der Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt. Die "insbesondere"-Aufzählung im Gesetz kann nicht hierfür herangezogen werden. Die Aufzählung diente früher der Erläuterung des Begriffs der ungewöhnlichen Härte. Beispielhaft aufgezählt sind die Aufgabe des Familienheims und die Veräußerung eines Wirtschaftsgutes, das die wirtschaftliche Lebensgrundlage des pflichtteilsberechtigten Erben bildet.
Rz. 7
Unter den Begriff des "Wirtschaftsgutes" i.S.d. Vorschrift fallen gewerbliche Unternehmungen, Mietshäuser, landwirtschaftliche Güter, Beteiligungen an Handelsgesellschaften etc.
Rz. 8
Allein die Tatsache, dass Nachlassvermögen wegen der Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs zur Unzeit veräußert werden müsste, reicht für die Stundung des Anspruchs nicht aus.
Rz. 9
Die Stundungsvoraussetzungen sind gleichfalls nicht erfüllt, wenn der Erbe Kunstgegenstände, Antiquitäten oder Familienerbstücke veräußern muss, die zwar schon lange im Familienbesitz waren, die er aber nicht zur Sicherung seiner Existenzgrundlage benötigt. Ein ungünstiger Aktienkurs stellt genauso wenig einen Stundungsgrund dar. Nach der Rspr. des BGH soll bei Liquiditätsproblemen auf die Möglichkeit der Stundung zurückgegriffen werden können.