a) Kreis der potentiellen Opfer
Rz. 13
Die Ausführungen zu Abs. 1 Nr. 1 gelten entsprechend (vgl. Rdn 7 ff.).
b) Tathandlung des Pflichtteilsberechtigten
Rz. 14
Abs. 1 Nr. 2 sanktioniert Verbrechen und schwere vorsätzliche Vergehen, derer sich der Pflichtteilsberechtigte gegen den in Abs. 1 Nr. 1 genannten Personenkreis schuldig gemacht hat. Die Begriffe "Verbrechen" und "Vergehen" sind im strafrechtlichen Sinne zu verstehen. Es gelten § 12 Abs. 1 bzw. Abs. 2 StGB. Verbrechen sind gem. § 12 Abs. 1 StGB Straftaten, die mit Freiheitsstrafen von wenigstens einem Jahr bedroht sind; Vergehen gem. § 12 Abs. 2 StGB solche, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedroht sind.
Beschränkungen hinsichtlich der verletzten Rechtsgüter sind nicht vorgesehen, so dass sowohl Körperverletzungsdelikte als auch Vermögensdelikte zur Pflichtteilsentziehung berechtigen können.
Rz. 15
Handelt es sich bei der Tat des Pflichtteilsberechtigten nicht um ein Verbrechen, sondern um ein Vergehen, kommt eine Pflichtteilsentziehung nur in Betracht, wenn das Vergehen als "schweres" zu qualifizieren ist. Hinsichtlich der Abgrenzung ist davon auszugehen, dass die von der Rechtsprechung zu § 2333 Nr. 3 BGB a.F. entwickelten Grundsätze nach wie vor anwendbar sind.
Rz. 16
Die Frage, ob es sich bei einer Straftat um ein schweres Vergehen handelt, richtet sich demzufolge nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und darf nicht abstrakt nach dem vorgesehenen Strafrahmen beurteilt werden. Das führt dazu, dass es bei der Beurteilung der Schwere eines sittlichen Verschuldens auch darauf ankommen kann, wer an dem Zerwürfnis zwischen dem Erblasser und seinem Abkömmling die Schuld trägt bzw. wie der "Lebenswandel" des Erblassers selbst zu beurteilen ist.
Rz. 17
Im Übrigen verlangte die Rechtsprechung in der Vergangenheit stets eine "schwere Pietätsverletzung", die sich als nicht mehr hinzunehmende Verletzung der dem Erblasser geschuldeten Achtung darstellt und die Pflichtteilsentziehung als angemessene Reaktion auf diese Missachtung rechtfertigt. Ob sich diese Anforderung nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19.4.2005 bzw. der Erbrechtsreform 2010 noch aufrechterhalten lässt, ist indes fraglich; denn sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch der Gesetzgeber haben das Grundrecht der Testierfreiheit ausdrücklich betont. Das Bundesverfassungsgericht spricht in diesem Zusammenhang auch explizit von einer Neubestimmung der "Zumutbarkeitsgrenze". Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, auf das Abgrenzungsmerkmal der "schweren Pietätsverletzung" zu verzichten und stattdessen das vom Bundesverfassungsgericht als "grundsätzlich aussagekräftiges und geeignetes Abgrenzungskriterium" bezeichnete "ungeschriebene Tatbestandsmerkmal" des "schuldhaften Verhaltens des Pflichtteilsberechtigten" heranzuziehen. Auf diese Weise wird zwar die Abgrenzung im Einzelfall nicht unbedingt erleichtert, dem Tatrichter bliebe allerdings die Beurteilung einer gesetzlich nicht geregelten (zusätzlichen) Wertungsfrage erspart.
Rz. 18
Nach Ansicht des LG Hagen sind weder eine schwere Pietätsverletzung noch eine grobe Missachtung des Eltern-Kind-Verhältnisses Voraussetzung für eine Pflichtteilsentziehung. Vielmehr müsse nach der Zumutbarkeit der Nachlassbeteiligung für den Erblasser gefragt werden.
Grundsätzlich muss im Hinblick auf die übrigen Pflichtteilsentziehungsgründe, insbesondere auf Abs. 1 Nr. 4, für das Vorliegen eines schweren Vergehens außerdem ein erheblicher Unwertgehalt der Handlung des Pflichtteilsberechtigten gefordert werden.
Rz. 19
Als schweres Vergehen kommen unter Umständen auch (insbesondere schwere und wiederholte) Beleidigungen und falsche Verdächtigungen (§ 164 StGB) in Betracht. Letztere sogar, wenn dem Bezichtigten nur geringfügige Verfehlungen zur Last gelegt werden. In beiden Fällen stellen jedoch einzelne, leichtfertig begangene Taten im Regelfall noch keine ausreichende Grundlage für eine Pflichtteilsentziehung dar (auch eine einzelne grobe Beleidigung reicht noch nicht aus). Die praktische Bedeutung der Frage ist in jüngerer Zeit aber eher als gering einzustufen.
Rz. 20
Da Abs. 1 Nr. 2 sich in erster Linie gegen grobe Missachtungen des Eltern-Kind-Verhältnisses wendet, können Eigentums- und Vermögensdelikte eine Pflichtteilsentziehung nur dann rechtfertigen, wenn sie gleichzeitig – bspw. im Hinblick auf ihre Begehungsweise – eine schwere Kränkung des Erblassers bedeuten. Unter dieser Voraussetzung kommt auch eine Urkundenfälschung ggf. als Entziehungsgrund in Betracht. Eine gegen den Erblasser oder seinen Ehegatten begangene Untreue (§ 266 Alt. 2 StGB) kann nur dann erheblich sein, wenn sie nicht im Einverständnis mit dem Erblasser begangen wurde. Dieser Aspekt dürfte auch über den vom BGH entschiedenen Einzelfall hinaus für alle Fälle des Abs. 1 Nr. 2 gelten.
Rz. 21
Unter besonderen Umständen konnten auch seelische Misshandlungen schon nach altem Recht eine Pflichtteilsentziehun...