Damrau/Tanck, Praxiskommentar Erbrecht, BGB § 2333 Entzi ... / II. Die Pflichtteilsentziehungsgründe im Einzelnen

1. Nach dem Leben trachten (Abs. 1 Nr. 1)

a) Kreis der potentiellen Opfer

Rz. 7

Abs. 1 Nr. 1 sanktioniert nicht das strafrechtlich an und für sich ohnehin verwerfliche Trachten nach dem Leben eines anderen Menschen. Vielmehr kommt eine hiermit begründete Pflichtteilsentziehung nur dann in Betracht, wenn es sich bei dem Opfer um den Erblasser selbst, seinen Ehegatten bzw. gleichgeschlechtlichen Lebenspartner,^[21] einen Abkömmling des Erblassers i.S.v. § 1589 Abs. 1 S. 1 BGB oder eine andere dem Erblasser ähnlich nahestehende Person handelt. Als Abkömmlinge in diesem Sinne sind neben den ehelichen auch die nichtehelichen Kinder anzusehen. Dasselbe gilt für Adoptivkinder.^[22]

Rz. 8

Nicht ohne Weiteres abzugrenzen ist aber, wer zu den dem Erblasser ähnlich nahestehenden Personen gehört. Der gleichgeschlechtliche Lebenspartner kann im Hinblick auf § 10 Abs. 6 S. 2 LPartG kaum gemeint sein, er ist dem Ehegatten gleichgestellt.

Die Begründung des Gesetzentwurfes nennt beispielhaft die auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft,^[23] wobei eine allgemein gültige Abgrenzung auch auf dieser Grundlage schwierig erscheint.^[24] Grundsätzlich ist eine einzelfallbezogene Betrachtung anhand der konkreten Umstände angezeigt.^[25] I.d.R. wird man trotz allem davon ausgehen können, dass zu den nahestehenden Personen jedenfalls Stiefkinder und Pflegekinder gehören. Das Gleiche dürfte für Lebens- bzw. Lebensabschnittsgefährten gelten.^[26] Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollen offenbar auch dessen bzw. deren Kinder zu den ähnlich nahestehenden Personen zählen, wenn sie dauerhaft im Haushalt des Erblassers leben.^[27]

Rz. 9

Fraglich ist die Einbeziehung von Stief- und Pflegeeltern, da diese nach der Gesetzesbegründung wohl nicht zum Kreis der ähnlich nahestehenden Personen zählen sollen.^[28] Insoweit wird man unterstellen müssen, dass Stief- und Pflegeeltern zwar nicht "automatisch" als "ähnlich nahestehende" Personen anzusehen, aber sehr wohl im Einzelfall aufgrund der konkreten persönlichen Bindung in den Schutzbereich von § 2333 BGB einzubeziehen sind.

Rz. 10

Der maßgebliche Zeitpunkt für die Bestimmung des Näheverhältnisses muss im Übrigen der Zeitpunkt der Tathandlung des Pflichtteilsberechtigten sein.^[29] Ob das Näheverhältnis auch im Zeitpunkt des Erbfalls noch besteht, ist hingegen nicht entscheidend.

Beim (ehemaligen) Ehegatten kommt es im Zweifel auf die Rechtskraft des Scheidungsurteils an.^[30] Allerdings ist die Anwendung von Abs. 1 Nr. 1 in Bezug auf ehemalige Ehegatten/Lebenspartner nicht per se ausgeschlossen,^[31] da es sich bei ihnen auch nach der Beendigung der Ehe/Lebenspartnerschaft nach wie vor um "ähnlich nahestehende Personen" handeln kann.

[21] Dieser ist einem Ehegatten gem. § 10 Abs. 6 S. 2 LPartG gleichgestellt.

[22] Soergel/Dieckmann, § 2333 Rn 3.

[23] Vgl. BT-Drucks 16/8954, S. 23; Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, § 2333 Rn 8; BeckOK BGB/G. Mutter, § 2333 Rn 9.

[24] Nach Schaal/Grigas, BWNotZ 2008, 2, 18 ist eine abstrakte Betrachtung ohnehin ausgeschlossen.

[25] MüKo/Lange, § 2333 Rn 36; vgl. auch Lange/Honzen, ZErb 2011, 316, 317.

[26] Lange/Honzen, ZErb 2011, 316, 317; Karsten, RNotZ 2010, 357, 365; Mauer-Stroh/Roglmeier, ZErb 2017, 10, 12.

[27] Vgl. MüKo/Lange, § 2333 Rn 17.

[28] BeckOGK/Rudy, § 2333 Rn 21; Lange/Honzen, ZErb 2011, 316.

[29] Lange/Honzen, ZErb 2011, 316, 317; Hölscher/Mayer, in: Mayer/Süß/Tanck/Bittler, HB Pflichtteilsrecht, § 8 Rn 03.

[30] BeckOGK/Rudy, § 2333 Rn 21; a.A. Lange/Honzen, ZErb 2011, 316.

[31] Vgl. MüKo/Lange, § 2333 Rn 15; jurisPK-BGB/Birkenheier, § 2333 Rn 14, 23.

b) Tathandlung des Pflichtteilsberechtigten

Rz. 11

Der Abkömmling trachtet einer der genannten Personen nach dem Leben (Abs. 1 Nr. 1), wenn er den ernsthaften Willen hat, deren Tod herbeizuführen, und diesen Willen auch betätigt.^[32] Ob er dies als Täter, Mittäter, Gehilfe oder Anstifter tut, spielt keine Rolle;^[33] selbst straflose Vorbereitungshandlungen können genügen.^[34] Wenn sich der Pflichtteilsberechtigte in einer Garantenstellung befindet, also für ihn eine Pflicht zum Handeln besteht, kann auch das bloße Unterlassen der erforderlichen Handlung ein Nach-dem-Leben-trachten darstellen.^[35] Insoweit kommt auch die Nichtanzeige einer geplanten Tötung in Betracht.^[36] Ein vorbedachtes oder planvolles Handeln ist nicht erforderlich,^[37] ebenso wenig, dass der Erblasser oder andere Betroffene sich durch den Abkömmling bedroht gefühlt hat.^[38]

Es genügt aber nicht, dass der Pflichtteilsberechtigte den Tod des Erblassers (nur) herbeigesehnt oder gewünscht hat.^[39]

Rz. 12

Ist die Tötungsabsicht im Versuchsstadium stecken geblieben, der Pflichtteilsberechtigte bspw. am Einsatz untauglicher Mittel gescheitert, ist Abs. 1 Nr. 1 dennoch erfüllt, wenn sich im Verhalten des Pflichtteilsberechtigten eine ernsthafte Tötungsabsicht manifestiert hat.^[40] Im Übrigen lässt ein strafbefreiender Rücktritt gem. § 24 StGB die einmal begangene Lebensnachstellung nicht als ungeschehen gelten.^[41] Insoweit geht Abs. 1 Nr. 1 weiter als die strafrechtlichen Sanktionen.

Die bloße Androhung von Gewalt gegen Leib und Leben stellt aber noch kein Nach-dem-Leben-trachten...