Rz. 54
Vom BGH gab es bislang noch keine Positionierung zu dieser Frage, auch nicht zuletzt zu einem Sachverhalt, bei dem ein Ehevertrag mit einem Pflichtteilsverzicht kombiniert worden war.
Insbesondere Wachter spricht sich für die Möglichkeit einer Inhaltskontrolle bei Erb- und Pflichtteilsverzichten aus. Er stellt auf die Funktion des Pflichtteilsrechts im konkreten Einzelfall ab. Soweit der Pflichtteilsanspruch der Sicherung des Unterhalts und der Altersversorgung diene, könne er gerichtlich zu schützen sein. Der Zusammenhang mit einem Ehevertrag würde ohnehin eine Inhaltskontrolle nach sich ziehen, da immer die Gesamtumstände zu beachten seien.
Inkmann setzte sich ausführlich mit der Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichten auseinander und sieht bei Informationsasymmetrien und Übermachts- und Schwächesituationen Gründe für eine Sittenwidrigkeit.
Rz. 55
In einem Urteil des OLG München wird der Tatbestand der Sittenwidrigkeit bejaht. Der – in diesem Fall – vom Vater vorgeschlagene Erbverzichtsvertrag beruhte auf der Schilderung unrichtiger Ausgangstatsachen. Der Abfindungsbetrag war daher falsch berechnet. Zudem "wurde auch die im Vergleich zum Kindesvater als aufstrebendem Geschäftsmann schwächere Position des damals erst 19-jährigen Sohns" betroffen. Nach Rogler "bedurfte es" wegen der Sittenwidrigkeit des Rückgriffs auf § 123 BGB "nicht". Das Urteil wurde auch als Einzelfallentscheidung eingeordnet.
Rz. 56
Das OLG Nürnberg bejahte in einem Urteil den "Wegfall der Geschäftsgrundlage" bei einem mit einem Ehevertrag verbundenen Pflichtteilsverzicht. Ob die Geschäftsgrundlage aber überhaupt weggefallen war, wird angezweifelt. Eine unterbliebene Aufklärung über Vermögenswerte wurde vom OLG Düsseldorf nicht als ausreichend für eine Inhaltskontrolle gesehen, die Frage nach der "Infektion" eines Erbverzichtes durch einen nichtigen Ehevertrag offengelassen.
Das LG Nürnberg-Fürth lehnte eine gerichtliche Inhaltskontrolle wie bei Eheverträgen ab, da die Rechtsinstitute unterschiedliche Schutzzwecke und andersartige Rechtscharaktere aufweisen würden. Es hielt eine Sittenwidrigkeit bei der Ausnutzung von geschäftlicher Unerfahrenheit oder Unkenntnis für möglich, in dem zu entscheidenden Fall aber nicht gegeben.
Das LG Koblenz verwandte nicht den Begriff der "Inhaltskontrolle", wies aber dezidiert auf Pflichten des Erblassers zur Aufklärung insbesondere bei Bestehen eines persönlichen Vertrauensverhältnisses hin, deren Verletzung nach dem Erbfall Schadensersatzansprüche auslösen kann. Nicht verwerflich ist aber das Anbieten einer niedrigen Abfindung, wenn der Verzichtende die Vermögensumstände kennt.
Das LG Detmold bejaht Sittenwidrigkeit eines Verzichtsvertrages eines jungen Sohnes, dem ein Sportwagen als (nicht angemessene) Gegenleistung versprochen wurde. Nach dem OLG Saarbrücken ist der vollständige Entfall jeglicher Erbrechte durch eine Wiederverheiratungsklausel eine unzulässige Beeinträchtigung und auf den Pflichtteil zu beschränken.
Rz. 57
Für J. Mayer ist eine als "umfassende gerichtliche Überprüfung" zu verstehende "Inhaltskontrolle" zweifellos möglich. Der Übertragung der Rechtsprechung zu den Eheverträgen steht er aber wegen der Unterschiede der Rechtsgeschäfte sehr kritisch gegenüber. Er betont den Vorrang der Korrektur durch Anfechtung und das Instrument der Störung der Geschäftsgrundlage.Lange ergänzt, dass es bei Erb- und Pflichtteilsverzicht nicht um den Ausgleich ehebedingter Nachteile gehe, der vergleichbare Zugewinnausgleich aber sehr weitgehend disponibel sei. Das ist zutreffend, sollte aber nicht die Parallelen in der Nähe- und Abhängigkeitsbeziehung der handelnden Personen und des erheblichen, zeitlichen Auseinanderfallens von Geschäft und Wirkung verdecken, was Lange wiederum als "Motivbewertung" abtut. Ähnlich ablehnend argumentiert Zimmer, der insoweit mit der Situation bei der Erbausschlagung vergleicht, wo aber Erklärung und Wirkung im direkten Zusammenhang stehen. Er kommt allerdings mit einer ähnlichen Begründung wie hier (Rdn 60) zu dem Ergebnis, dass es im Sinne von "undue influence" über § 311 Abs. 2 BGB zu einem Anspruch auf Vertragsaufhebung kommen könne.