Rz. 58
Was landläufig unter dem Begriff der "Inhaltskontrolle" zusammengefasst wird, sollte differenziert betrachtet werden. Schließlich kommen zur nachträglichen Beseitigung von "Ungerechtigkeiten" nicht nur § 138 BGB und § 242 BGB, sondern auch das Instrument der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) und die Anfechtung in Betracht.
Die Verbindung des Erb- oder Pflichtteilsverzichts mit einem gem. § 138 BGB nichtigen Ehevertrag kann zur Gesamtnichtigkeit führen, wenn nicht ein anderer Parteiwille aus der Vereinbarung zu entnehmen ist. Dies ist aber auf § 139 BGB zurückzuführen und berührt insofern die Diskussion um die Inhaltskontrolle bei Erb- und Pflichtteilsverzichten im engeren Sinne nicht.
Einige Fälle werden durch eine Anfechtung zu lösen sein. Wird ein Verzichtender über die Höhe des Vermögens getäuscht, sodass er eine zu geringe Gegenleistung fordert und erhält, kann eine Anfechtung nach § 123 BGB greifen. Zwar ist eine Anfechtung nicht mehr notwendig, wenn der Vertrag schon nach § 138 BGB nichtig ist. Trotzdem sollte die grundsätzliche Möglichkeit der Anfechtung zeigen, dass der Rückgriff auf § 138 BGB nicht als "Ersatz" für eine eventuell nicht durchsetzbare Anfechtung herhalten sollte. Dafür ist allerdings notwendig, dass – wie hier – die Meinung vertreten wird, dass eine Anfechtung auch noch nach dem Erbfall möglich sein muss (siehe Rdn 48) oder Ansprüche auf Wertersatz oder aus culpa in contrahendo.
Rz. 59
Eine Kontrolle nach § 138 BGB im Sinne einer Wirksamkeitskontrolle muss nach hier vertretener Ansicht außerdem möglich sein. Der Schutz des strukturell Unterlegenen ist dem deutschen Recht immanent, wie neben der Rechtsprechung zu Eheverträgen auch die zu Bürgschaften von Angehörigen zeigt. Insbesondere bei persönlich und/oder finanziell von ihren Eltern abhängigen und unter Umständen zudem jungen Kindern kann ein solches Ungleichgewicht bei dem Verzicht vorliegen. Die persönliche Abhängigkeit kann sich aus der familiären und sonstigen sozialen Bindung ergeben ("Der Vater bestimmt."). Wirtschaftlich abhängig sind insbesondere finanzielle Unterstützung erhaltende Kinder.
Rz. 60
Ändern sich die Verhältnisse später erheblich, kommt in seltenen Fällen auch nach den Stimmen, die eine Inhaltskontrolle eher ablehnen, nach § 313 BGB oder § 242 BGB eine Anpassung der Vereinbarung oder eine Ausübungskontrolle in Betracht. Dass es sich hier nur um Ausnahmen handeln wird, ergibt sich aus dem Zweck und dem Charakter des Erb- bzw. Pflichtteilsverzichts sowie dem Grundsatz der Selbstbestimmung und Vertragsfreiheit: Es handelt sich schließlich um ein Risikogeschäft. Verfolgt der Verzichtende einen bestimmten Zweck, sollte er ihn im Vertrag absichern. Macht er bestimmte Einkommens- und Vermögenslagen zur Voraussetzung, sollte er dies festschreiben. Sonst kann er bei unerwarteten Entwicklungen eine Korrektur nur verlangen, wenn er getäuscht wurde – muss also meist mit dem Mittel der Anfechtung vorgehen.