I. Allgemeines
Rz. 43
Die Beseitigung des Erbverzichts ist auf verschiedene Arten denkbar. Ihnen gemein ist, dass eine Beseitigung zumindest des abstrakten Verfügungsgeschäfts bei einem Erbverzicht nach dem Erbfall nicht oder nur in Ausnahmefällen möglich ist. Dies gebietet die Rechtssicherheit, denn der Erbverzicht wirkt direkt auf die Erbfolge oder -quoten. Zur einvernehmlichen Aufhebung vgl. § 2351 BGB. Bei Neuverheiratung von Ehegatten, die zum Ende der ersten Ehe auf den Pflichtteil verzichtet hatten, ist grundsätzlich nicht von einer Wirkung des Verzichts auch für die neue Ehe auszugehen.
II. Anfechtung
Rz. 44
Bei der Anfechtung ist zwischen der Zeit vor und nach dem Erbfall zu unterscheiden.
1. Vor dem Erbfall
Rz. 45
Für die Anfechtung gelten die allgemeinen Vorschriften der §§ 119 ff. BGB. Anders als bei einer letztwilligen Verfügung ist ein Motivirrtum unbeachtlich, denn § 2078 BGB gilt nicht. Die Anfechtung kann das abstrakte erbrechtliche Verfügungsgeschäft und/oder ein schuldrechtliches Rechtsgeschäft unwirksam werden lassen.
Rz. 46
Das Anfechtungsrecht des Verzichtenden zu Lebzeiten des Erblassers ist unbestritten. Uneinigkeit besteht über das Anfechtungsrecht des potentiellen Erblassers. Nach der einen Meinung besteht für eine Anfechtung des Erblassers kein Bedürfnis. Er könne durch eine letztwillige Verfügung den Ausschluss des Erben jederzeit rückgängig machen.
Rz. 47
Die andere – auch hier vertretene – Meinung bejaht ein Anfechtungsrecht des Erblassers. Ob ein "Bedürfnis" für ein Recht besteht, ist nicht ausschlaggebend für dessen Existenz. Für einen testierunfähigen, zukünftigen Erblasser ist es zudem nicht möglich, eine neue letztwillige Verfügung zu verfassen. Zudem werden durch einen Erbverzicht auch die Erb- und Pflichtteilsquoten von anderen Personen beeinflusst. Die Anfechtung kann eine Wirkung entfalten, die der Erblasser sonst nicht herbeiführen kann.
2. Nach dem Erbfall
Rz. 48
Ob der Verzichtende noch nach dem Erbfall anfechten darf, ist höchst umstritten. Die überwiegende Meinung einschließlich der hier bekannten Rechtsprechung verneint das Anfechtungsrecht. Das Hauptargument ist die Rechtssicherheit. Durch den Erbverzicht werden die Erbfolge und/oder -quoten geändert. Allerdings kommen in diesen Fällen Schadensersatzansprüche in Betracht, etwa nach § 826 BGB.
Die Gegenmeinung bejaht das Fortbestehen des Anfechtungsrechts. Es sei auch ein Gebot der Rechtssicherheit, eine begründete Anfechtung – etwa wegen arglistiger Täuschung oder Drohung – nicht zu verhindern. Außerdem könne auch eine Bedingung erst nach dem Tod des Erblassers eintreten. Dem ist zuzustimmen. Eine unbegrenzte Rechtsunsicherheit ist grundsätzlich nicht zu befürchten, da eine Anfechtung fristgebunden ist.
3. Anfechtungsgrund
Rz. 49
Als Anfechtungsgrund kommt auch ein Irrtum über wertbildende Merkmale oder den Bestand des gegenwärtigen Vermögens des Erblassers in Betracht. Bei notarieller Aufklärung sollten relevante Irrtümer aber schwer darzulegen sein. Spätere Entwicklungen im Vermögen des Erblassers sind bei diesem Risikogeschäft unbeachtlich.
III. Sittenwidrigkeit, Verstoß gegen Treu und Glauben oder Störung der Geschäftsgrundlage – Inhaltskontrolle
1. Allgemeines
Rz. 50
Zumindest seit dem Jahr 2004 wird über die Inhaltskontrolle von Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen vermehrt diskutiert. Anlass und Ausgang für die Überlegungen war die Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle bei Eheverträgen.
2. Inhaltskontrolle bei Eheverträgen
Rz. 51
Nach der Entscheidung des BVerfG im Jahr 2001 stellte der BGH im Jahr 2004 erste, später verfeinerte und ergänzte Grundsätze für die Beurteilung von Regelungen in Eheverträgen auf.
Prinzipiell dürfen Ehegatten die Fragen des Zugewinns, des nachehelichen Unterhalts und des Versorgungsausgleichs vertraglich regeln. Ist der Vertrag aber nicht "Ausdruck und Ergebnis gleichberechtigter Lebenspartnerschaft", sondern spiegelt er "eine einseitige Dominanz eines Ehepartners" wieder, hat der Staat durch eine richterliche Inhaltskontrolle dem "Grenzen zu setzen". Um diese Vorgaben umzusetzen, hat der BGH die sog. "Kernbereichslehre" entwickelt: Ein Ehegatte wird unzumutbar einseitig belastet, je mehr durch den Vertrag in den Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts eingegriffen wird. Es wurde nach dem Schutzbedürfnis gestaffelt ein Rangverhältnis aufgestellt.
Rz. 52
Die Prüfung selbst erfolgt in zwei Stufen, wobei die Wirksamkeitskontrolle an § 138 Abs. 1 BGB und die Ausübungskontrolle an § 24...