1. Allgemeines
Rz. 50
Zumindest seit dem Jahr 2004 wird über die Inhaltskontrolle von Erb- und Pflichtteilsverzichtsverträgen vermehrt diskutiert. Anlass und Ausgang für die Überlegungen war die Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle bei Eheverträgen.
2. Inhaltskontrolle bei Eheverträgen
Rz. 51
Nach der Entscheidung des BVerfG im Jahr 2001 stellte der BGH im Jahr 2004 erste, später verfeinerte und ergänzte Grundsätze für die Beurteilung von Regelungen in Eheverträgen auf.
Prinzipiell dürfen Ehegatten die Fragen des Zugewinns, des nachehelichen Unterhalts und des Versorgungsausgleichs vertraglich regeln. Ist der Vertrag aber nicht "Ausdruck und Ergebnis gleichberechtigter Lebenspartnerschaft", sondern spiegelt er "eine einseitige Dominanz eines Ehepartners" wieder, hat der Staat durch eine richterliche Inhaltskontrolle dem "Grenzen zu setzen". Um diese Vorgaben umzusetzen, hat der BGH die sog. "Kernbereichslehre" entwickelt: Ein Ehegatte wird unzumutbar einseitig belastet, je mehr durch den Vertrag in den Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts eingegriffen wird. Es wurde nach dem Schutzbedürfnis gestaffelt ein Rangverhältnis aufgestellt.
Rz. 52
Die Prüfung selbst erfolgt in zwei Stufen, wobei die Wirksamkeitskontrolle an § 138 Abs. 1 BGB und die Ausübungskontrolle an § 242 BGB anknüpft:
(1) Bei der Wirksamkeitskontrolle kommt es auf die Umstände im Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Objektive Kriterien können die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Ehegatten, die geplante oder bereits bestehende Ausgestaltung der ehelichen Verhältnisse und die Auswirkungen der Eheschließung auf die Ehegatten und deren Kinder sein. Subjektive Umstände sind der Zweck, der mit der Vereinbarung insgesamt verfolgt wird, und die Beweggründe der Ehegatten für einzelne Regelungen.
(2) Für die Ausübungskontrolle wird geprüft, ob das Festhalten an dem Vertrag im Rahmen der Scheidung missbräuchlich ist. Das Vertrauen in die Regelung muss weniger schutzwürdig sein. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist es, wenn die ehelichen Lebensverhältnisse sich anders als geplant entwickelt haben.
3. Inhaltskontrolle bei Erb- und Pflichtteilsverträgen
a) Parallelen zur Inhaltskontrolle bei Eheverträgen
Rz. 53
Die Interessenlage der Beteiligten und das Machtgefüge unter ihnen können bei Erb- und Pflichtteilsverzichten denen bei Eheverträgen stark ähneln. Gerade volljährige Kinder sind ihren Eltern oft an Lebenserfahrung und Verhandlungsgeschick unterlegen, ähnlich wie es etwa bei aus dem Ausland zugezogenen Ehegatten der Fall sein kann. Sie sind zudem meist wirtschaftlich abhängig – "Übermacht- und Schwächesituation". Eine Ausbildung ohne finanzielle Unterstützung zu absolvieren kann eine ähnliche Abhängigkeit ergeben wie bei Ehegatten, von denen nur einer über gute Einkommens- und Vermögensverhältnisse verfügt. Diese Konstellationen könnten bei Eheverträgen Gegenstand der Wirksamkeitskontrolle sein.
Eine wesentliche Änderung der Umstände mit der Folge der Ausübungskontrolle könnte gesehen werden, wenn der Pflichtteilsberechtigte mit Rücksicht auf die Familientradition und im Vertrauen auf eine Versorgung aller Angehöriger durch ein Familienunternehmen auf den Pflichtteil verzichtet, das Unternehmen aber dann vor dem Erbfall verkauft wird.
Denkbar ist schließlich, dass bei einer Eheschließung ein nach den Kriterien des BGH unwirksamer Ehevertrag geschlossen wird, der mit einem Erb- und/oder Pflichtteilsverzicht verbunden oder von ihm begleitet wird. Erleidet der Erbverzicht dann dasselbe Schicksal wie der Ehevertrag?
b) Meinungsstand
Rz. 54
Vom BGH gab es bislang noch keine Positionierung zu dieser Frage, auch nicht zuletzt zu einem Sachverhalt, bei dem ein Ehevertrag mit einem Pflichtteilsverzicht kombiniert worden war.
Insbesondere Wachter spricht sich für die Möglichkeit einer Inhaltskontrolle bei Erb- und Pflichtteilsverzichten aus. Er stellt auf die Funktion des Pflichtteilsrechts im konkreten Einzelfall ab. Soweit der Pflichtteilsanspruch der Sicherung des Unterhalts und der Altersversorgung diene, könne er gerichtlich zu schützen sein. Der Zusammenhang mit einem Ehevertrag würde ohnehin eine Inhaltskontrolle nach sich ziehen, da immer die Gesamtumstände zu beachten seien.
Inkmann setzte sich ausführlich mit der Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichten auseinander und sieht bei Informationsasymmetrien und Über...