Rz. 22
Abzuziehen ist anstelle der fiktiven Steuer die seinerzeit für die Vorerwerbe tatsächlich zu entrichtende richtig ermittelte Steuer, wenn diese höher als die fiktiv ermittelte Steuer auf den Vorerwerb ist. Der Steuerpflichtige soll für den Letzterwerb insoweit keine Steuer zahlen, als er für einen Vorerwerb bereits Steuer in dieser Höhe zu entrichten hatte. Die "tatsächlich für die in die Zusammenrechnung einbezogenen früheren Erwerbe zu entrichtende Steuer" i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 3 ErbStG ist die Steuer, die bei zutreffender Beurteilung der Sach- und Rechtslage für diese Erwerbe festzusetzen gewesen wäre. Sie ist nicht zwangsläufig identisch mit der früher festgesetzten Steuer. Ist die tatsächliche Steuer für den/die Vorerwerb(e) höher als die fiktive Steuer, z.B. wenn sich die Rechtslage oder die tatsächlichen persönlichen Verhältnisse ändern, die sich auf den Tarif auswirken, z.B. Änderung bei den persönlichen Freibeträgen, kann dies nachträglich zu steuerfreien Zuwendungen genutzt werden.
Nach § 14 Abs. 1 S. 4 ErbStG kann es aber nicht zu einer Erstattung der Mehrsteuer kommen, wenn die auf die Vorerwerbe entfallende Steuer höher als die für den Gesamterwerb errechnete Steuer ist; d.h. die für die Vorerwerbe tatsächlich gezahlte Steuer mindert die Steuer für den Gesamtbetrag nur bis auf 0 EUR.
Das Finanzamt hat die günstigere Abzugsteuer von Amts wegen zu ermitteln (siehe Berechnungsbeispiele zur Abzugsteuer in H E 14.1 (3) ErbStH 2019).
Rz. 23
Die tatsächliche Steuer ist nicht abzuziehen, wenn die Festsetzung fehlerhaft war. Die für die Vorerwerbe ergangenen Steuerbescheide entfalten keine Bindungswirkung etwa im Sinn von Grundlagenbescheiden. Die Bedeutung zeigt sich z.B. in Fällen, in denen die frühere Veranlagung fehlerhaft war. War die Steuerfestsetzung für den Vorerwerb fehlerhaft zu hoch, kann nach überwiegender Meinung nur die materiell richtige (niedrigere) Steuer als tatsächlich zu entrichtende Steuer abgezogen werden. Frühere Erwerbe sind mit den damals materiell richtigen Werten, Steuersätzen, Freibeträgen oder Steuerbefreiungen anzusetzen. Aufgrund der Selbstständigkeit der Besteuerung der einzelnen Erwerbe sind die in die Zusammenrechnung nach § 14 Abs. 1 S. 1 ErbStG einzubeziehenden Vorerwerbe dem letzten Erwerb mit den materiell-rechtlich zutreffenden Werten hinzuzurechnen. Beruht der unzutreffende Wert darauf, dass eine sachliche Steuerbefreiung gewährt wurde, die materiell-rechtlich nicht hätte gewährt werden dürfen, kann und muss dies ebenfalls im Rahmen der Berücksichtigung des Vorerwerbs korrigiert werden. Eine fehlerhafte Steuerfestsetzung kann erst für den Abzug nach § 14 Abs. 1 S. 3 ErbStG eine Rolle spielen. Nach FG Münster begründet der Umstand, dass sich im Rahmen der Anwendung des § 14 Abs. 1 ErbStG die Steuerfestsetzung für einen Vorerwerb infolge einer Rechtsprechungsänderung im Nachhinein als unzutreffend erweist, mit der Folge, dass für den früheren Erwerb nicht die tatsächlich festgesetzte, sondern nur die aufgrund der Rechtsprechungsänderung niedrigere festzusetzende Steuer angerechnet wird, keinen Abzug infolge einer sachlichen Unbilligkeit i.S.d. § 163 AO.